Die Grasharfe
ihrem Pult verstreuten Bildchen saß, die Stirn in die Hände gestützt. Nachdem sie sie fortgeräumt hatte, ging sie, bei abgedrehtem Licht, im Zimmer auf und ab; und plötzlich konnte man ein wundes und heiseres Aufschluchzen hören, als ob sie in der Dunkelheit gestrauchelt und gefallen wäre.
Der Teil des Dachbodens, von dem aus ich die Küche hätte überblicken können, war gegen meine Neugier gesichert, denn dort waren Koffer und Baumwollballen aufgestapelt. Damals war es gerade die Küche, die ich auskundschafen wollte; sie war das eigentliche Wohnzimmer des Hauses, und dort verbrachte Dolly den größten Teil des Tages im Geplauder mit ihrer Freundin Catherine Creek. Als Waisenkind war Catherine Creek an Mr. Uriah Talbo verdingt worden, und sie und die Talboschwestern waren zusammen aufgewachsen auf einer alten Farm, die später ein Eisenbahndepot wurde. Sie nannte Dolly Dollyherz, doch Verena nur „Jene". Sie wohnte im Hinterhof in einem mit silbrigem Blech gedeckten Häuschen inmitten von Sonnenblumen und Bohnenstangen. Die Leute zwinkerten sich zu, wenn sie sich für eine Indianerin ausgab, denn sie war so schwarz wie die Engel Afrikas. Ich weiß nicht, ob es nicht doch die Wahrheit war. Sie kleidete sich jedenfalls wie eine Indianerin. Sie trug nämlich eine Kette von Türkisperlen und hatte so viel Rouge aufgelegt, daß es einen blendete; ihre Backen glühten wie zwei ewige Lämpchen. Zähne hatte sie fast keine mehr; sie hatte ihre Kinnbacken mit Watte ausgestopf, und Verena sagte dann und wann: „Verdammt noch mal, Catherine, warum gehst du nicht zum Doktor Crocker und läßt dir ein paar Zähne in dein Maulwerk tun, damit du mal ein verständliches Wort sprechen kannst?" Es war schon richtig, daß man sie schwer verstehen konnte. Dolly war die einzige, der das brummelnde Gemurmel ihrer Freundin mühelos verständlich war. Es genügte Catherine, daß Dolly sie verstand; sie waren immer beisammen, und was sie zu sagen hatten, das sagten sie zueinander. Ich vernahm, wenn ich mein Ohr an einen Dachbalken legte, das peinvolle Tremolo ihrer Stimmen, das sich wie steigender Baumsaf in dem alten Holz anhörte.
Um den Dachboden zu erreichen, mußte man auf einer Leiter in die Wäschekammer steigen, in deren Decke sich die Falltüre befand. Eines Tages, auf dem Wege dorthin, sah ich, daß die Falltür offenstand und erlauschte ein müßiges, süßes Sumsen, in der Art der reizenden Töne, die man von kleinen Mädchen hört, wenn sie allein spielen. Ich wäre gern umgekehrt, aber das Summen hörte auf, und eine Stimme fragte: „Catherine?" „Collin", antwortete ich und zeigte mich.
Schneefockenbleich stand Dollys Gesicht vor mir; für diesmal entschwand es mir nicht. „Hierhin also gehst du – wir wunderten uns", sagte sie, und ihre Stimme raschelte zart wie Seidenpapier. Sie hatte die Augen eines besonderen Menschen, freundliche, klare Augen, leuchtend grün, wie Pfefferminzlikör; sie spähten in dem Zwielicht des Dachbodens schüchtern nach mir aus und überzeugten sich, daß ich nichts Böses gegen sie plante. „Hier oben also spielst du – auf dem Dachboden? Ich sagte es schon Verena, daß du zu of allein wärest." Sie bückte sich und wühlte in der Tiefe eines Fasses herum. „Komm her", sagte sie, „du kannst mir helfen, wenn du in dem anderen Faß da nachsiehst. Ich suche ein paar Perlkiesel in allen Farben und eine kleine Korallenburg. Ein Glas mit Goldfschen, das wird Catherine mögen, meinst du nicht? Zu ihrem Geburtstag. Wir hatten sonst immer ein Glas mit Tropenfischen – Teufel waren das, sie fraßen einander auf. Ich weiß noch gut, wie wir sie kauften; wir gingen den ganzen Weg von sechzig Meilen nach Brewton zu Fuß. Niemals zuvor bin ich sechzig Meilen gelaufen, und ich glaube nicht, daß ich das noch einmal mache. Schau her, da ist sie, meine Burg." Bald darauf fand ich die Kiesel, sie waren wie Körner oder wie Kandissplitter. „Nimm ein Stückchen Kandis", sagte ich und bot ihr aus dem Säckchen an. „O vielen Dank", sagte sie, „ich mag ein Stückchen Kandis gern, sogar wenn es wie ein Kiesel schmeckt."
Wir wurden Freunde, Dolly, Catherine und ich. Ich war elf, und später wurde ich sechzehn. Verdienste erwarb ich mir keine, aber das waren die wunderbaren Jahre.
Ich brachte niemanden mit mir nach Hause, und ich wünschte es auch niemals. Einmal nahm ich ein Mädchen mit ins Kino, und auf dem Heimweg fragte sie mich, ob sie ein Glas Wasser
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