Die Grenadière (German Edition)
großen Diwan im Pavillon ausgestreckt verweilte, von dem aus man das reizende, unaufhörlich wechselnde, von den tausend Geschehnissen des Tages, am Himmelszelte und in der Jahreszeit immer wieder neu erscheinende Bild der Touraine vor Augen hatte. Die beiden Kinder sprangen über die Einfriedigungen, kletterten auf die Terrassen, jagten hinter den Eidechsen her, selbst sich windend und gelenkig wie eine Eidechse; sie betrachteten das Getreide und die Blumen, studierten die Insekten und holten sich Aufklärung über alles bei der Mutter. Das war ein ewiges Kommen und Gehen in dem Pavillon. Auf dem Lande brauchen die Kinder kein Spielzeug, weil alles ihnen zur Beschäftigung dient. Den Unterrichtsstunden wohnte Frau Willemsens, an einer Stickerei arbeitend, bei. Sie verhielt sich schweigend, sah weder die Lehrer noch die Kinder an und hörte aufmerksam zu, als ob sie den Sinn der Worte zu begreifen und ungefähr zu erfahren wünschte, ob Louis zulerne, ob er seinen Lehrer durch eine Frage in Verlegenheit bringe und so bewiese, daß er Fortschritte mache: dann strahlten die mütterlichen Augen, sie lächelte und warf ihm einen hoffnungsvollen Blick zu. Von Marie verlangte sie wenig; ihre Wünsche konzentrierten sich auf den Älteren, dem sie einen gewissen Respekt bezeigte, indem sie all ihr weibliches und mütterliches Feingefühl aufwandte, um ihn stolz zu machen und ihm einen hohen Begriff von sich zu geben. Dieses Verhalten barg einen geheimen Gedanken in sich, den das Kind eines Tages verstehen sollte, und den es auch verstand. Nach jeder Unterrichtsstunde begleitete sie die Lehrer bis an die vordere Tür und ließ sich gewissenhaft Bericht über Louis' Studien abstatten. Sie war dabei so freundlich und entgegenkommend, daß die Lehrer ihr wahrheitsgetreu berichteten, um sie in den Stand zu setzen, Louis in den Gegenständen zu eifrigerer Arbeit anzuhalten, in denen er ihnen noch unsicher zu sein schien. Dann folgte die Hauptmahlzeit, darauf Spiel und ein Spaziergang; am Abend endlich wurden die Aufgaben gelernt.
So vollzog sich ihr Leben, ein einförmiges aber ausgefülltes Leben, wobei die glückliche Mischung von Arbeit und Zerstreuung keine Zeit für die Langeweile übrigließ. Kleinmütigkeit und Klagen gab es nicht, und die grenzenlose Liebe der Mutter ließ alles leicht erscheinen. Sie hatte ihren beiden Söhnen Bescheidenheit beigebracht, indem sie ihnen niemals etwas verweigerte, Mut, indem sie sie gelegentlich lobte, Entsagung, indem sie sie auf das Notwendige in jeder Form hinwies; so hatte sie ihre himmelsreine Natur mit ihrer feenhaften Hand entwickelt und gefestigt. Zuweilen wurden ihr die Augen feucht, wenn sie ihnen beim Spielen zusah und daran dachte, daß sie ihr niemals den geringsten Kummer verursacht hatten. Ein volles, restloses Glück rührt uns nur deshalb so zu Tränen, weil es ein Abbild des Himmels ist, von dem wir alle nur einen unvollkommenen Begriff haben. So verbrachte sie, auf ihrem ländlichen Diwan liegend, köstliche Stunden im Genuß eines schönen Tages, in der Betrachtung der großen Wasserfläche, der malerischen Landschaft, während sie die Stimmen ihrer Kinder hörte, ihr Lachen, das ein neues Gelächter gebar, und ihre kleinen Streitigkeiten, bei denen gerade ihre innige Zusammengehörigkeit, die väterliche Sorge Louis' um Marie und die Liebe beider zu ihr zum Ausdruck kam. Beide hatten in ihrer ersten Kinderzeit eine englische Bonne gehabt und sprachen gleichmäßig gut Französisch und Englisch; auch die Mutter bediente sich abwechselnd beider Sprachen in der Unterhaltung. Sie verstand es vortrefflich, ihre jungen Seelen zu leiten, und ließ in ihrem Geiste keine falschen Ideen und in ihrem Herzen keine schlechten Grundsätze Fuß fassen. Sie beherrschte sie durch ihre Sanftmut, sie verheimlichte ihnen nichts, sie erklärte ihnen alles. Wenn Louis zu lesen verlangte, so sorgte sie für interessante aber wahrheitsgetreu schildernde Bücher. Sie gab ihm Lebensbeschreibungen berühmter Seeleute, Biographien großer Männer, berühmter Führer, und fand im Eingehen auf die geringsten Einzelheiten solcher Bücher tausend Gelegenheiten, ihn schon frühzeitig über die Welt und das Leben aufzuklären; sie wies ihn besonders auf die Art und Weise hin, wie Männer niedriger Herkunft, die aber wirklich bedeutend waren, ohne Beschützer aus den untersten Gesellschaftsklassen emporgekommen und zu einer herrlichen Zukunft aufgestiegen waren. Diese nicht zum wenigsten
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