Die Grenadière (German Edition)
das gemeinsame Wohnzimmer aufgeräumt hatte, in dem sie sich dann bis zum Aufstehen ihrer Mutter an ihre Arbeiten setzten. Von Zeit zu Zeit aber spähten sie nach, ob sie noch nicht erwacht sei, wiewohl sie erst zur festgesetzten Stunde ihr Schlafzimmer betreten sollten. Dieser Einbruch am Morgen, der immer gegen die ursprüngliche Verabredung geschah, war stets eine köstliche Sache für sie wie für Frau Willemsens. Marie sprang auf ihr Bett, um sein Idol zu umarmen, während Louis am Kopfende kniete und die Hand der Mutter ergriff. Dann gab es ein ängstliches Sicherkundigen mit Worten, wie sie nur ein Liebender für seine Geliebte findet; nun folgte ein himmlisches Lachen, Zärtlichkeiten, die ebenso leidenschaftlich wie rein waren, beredtes Schweigen, Gestammel, von Küssen unterbrochene kindliche Geschichten, die selten zu Ende gebracht, aber immer aufmerksam angehört wurden ...
»Habt ihr fleißig gearbeitet?« fragte dann die Mutter, aber in so süßem und liebevollem Tone, als ob sie die Faulheit wie ein Unglück beklagen wollte, und immer bereit, dem, der mit sich zufrieden war, einen tränenfeuchten Blick zuzuwerfen. Sie wußte, daß ihre Kinder von dem Wunsche beseelt waren, ihr zu gefallen, und sie ihrerseits wußten, daß ihre Mutter nur für sie lebte, daß sie sie ins Leben mit allem Scharfsinn der Liebe einzuführen suchte, und daß sie ihnen all ihr Denken und alle ihre Zeit opferte. Solche teuren, so sehr geliebten Wesen, ganz von Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit beseelt, sind dann erstaunlich dankbar. Sie lieben mit Leidenschaft, mit Eifersucht, sie verschwenden die reizendsten Zärtlichkeiten, sie finden die süßesten Worte; sie sind voll Vertrauen, sie glauben bei der geliebten Person an alles. Deshalb gibt es auch vielleicht keine schlechten Kinder ohne schlechte Mütter; denn die Zuneigung, die sie empfinden, steht immer im Verhältnis zu der, die ihnen zuteil wird, von der frühesten Sorgsamkeit an, mit der sie betraut wurden, von den ersten Worten an, die sie vernommen haben, von den ersten Blicken an, mit denen sie nach Liebe und Leben gesucht haben. Alles wird dann zur Anziehung oder zur Abneigung. Gott hat die Kinder an den Busen der Mutter gelegt, um ihr begreiflich zu machen, daß sie dort lange bleiben sollen. Trotzdem gibt es grausam mißverstandene Mütter, zärtliche und erhabene Gefühle, die beständig verletzt werden, schreckliche Undankbarkeit, was beweist, wie schwierig es ist, feste Grundsätze aufzustellen, wenn es sich um Gefühle handelt. In den Herzen dieser Mutter und ihrer Söhne fehlte keins der tausend Bande, die eins mit dem andern verknüpften. Allein in der Welt, lebten sie hier dasselbe Leben und verstanden sich vortrefflich. Wenn Frau Willemsens Leben sich morgens schweigsam verhielt, waren Louis und Marie still, indem sie alles, was sie tat, respektierten, selbst die Gedanken, an denen sie keinen Anteil hatten. Aber der Ältere, der schon schärfer zu denken vermochte, begnügte sich niemals mit der mütterlichen Versicherung, daß es ihr gut ginge; er studierte ihr Gesicht mit düsterer Beunruhigung, die die Gefahr noch nicht kannte, aber sie ahnte, wenn er ihre Augen mit bläulichen Ringen umgeben sah und wahrnahm, wie tief sie eingesunken waren, und wie ihr Gesicht immer röter glühte. Voll echten Feingefühls merkte er es, wenn Maries Spiele sie zu ermüden begannen, und sagte dann zu seinem Bruder: »Komm frühstücken, Marie, ich habe Hunger.«
Aber an der Tür wandte er sich noch einmal um und beobachtete den Gesichtsausdruck der Mutter, die für ihn noch ein Lächeln fand; und oft rollten ihr die Tränen aus den Augen, wenn eine Geste ihres Kindes sein warmes Empfinden und ein frühzeitiges Verständnis ihrer Schmerzen verriet.
Die Zeit, die für das erste Frühstück der Kinder und ihre Erholung bestimmt war, verwandte Frau Willemsens auf ihre Toilette. Sie entfaltete eine Art von Koketterie für ihre geliebten Kleinen, sie wünschte, ihnen zu gefallen, ihnen in jeder Beziehung angenehm zu erscheinen, ein reizvoller Anblick für sie und so einschmeichelnd zu sein wie ein zarter Duft, nach dem man sich immer wieder sehnt. Sie war stets bereit, mit ihnen die Aufgaben zu wiederholen, was zwischen zehn und drei Uhr geschah, um zwölf Uhr durch ein zweites Frühstück unterbrochen, das gemeinsam im Gartenpavillon eingenommen wurde. Nach der Mahlzeit war eine Stunde für Spielen freigegeben, während denen die glückliche Mutter, die arme Frau, auf einem
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