Die groeßten Faelschungen der Geschichte
uns verdächtig. Denn damit war er ebenfalls ein Parteigänger. Wir finden bei ihm neben der relativ objektiven Beschreibung geschichtlicher Vorgänge auch dramatische, rhetorisch ausgefeilte Angriffe auf die Monarchie und leidenschaftliche Predigten, voller Zorn und Parteilichkeit.
Sogar der große Tacitus, der zweifellos von den besten Absichten beseelt war und sich zumindest bemühte, sich über seine eigenen Vorurteile zu erheben, ist also mit einer gewissen Vorsicht zu genießen.
Wir könnten auf diese Weise noch weitere römische Geschichtsschreiber vor den Richterstuhl zerren, aber der springende Punkt ist die Parteilichkeit.
Die dritte Lüge der Geschichtsschreibung besteht in dem Versuch, nicht nur einen nationalen Blickwinkel einzunehmen, sondern darüber hinaus noch einen parteiischen. Rom war stets zerstritten in der politischen Arena. Römische Historiografen versuchten deshalb fast ausnahmslos, ihrer Richtung das Wort zu reden – nicht anders als heutige Journalisten, die nur die CDU oder nur die SPD gelten lassen wollen. Geschichtsschreibung gerät jedoch zu einer Lüge, wenn nur ein parteiischer Standpunkt eingenommen wird und nur einer bestimmten politischen Richtung das Wort geredet wird.
DIE VIERTE LÜGE
Über die vierte Lüge stolpern wir, wenn wir Historiker untersuchen, die eine bestimmte pädagogische Absicht verfolgen, die erziehen wollen, die moralisch-ethische Ziele verfolgen, oft von den besten Absichten beseelt. Wir persönlich lieben sie, aber auch sie schreiben nicht immer die Wahrheit. Der sympathische Plutarch (45–125 n. Chr.) etwa fällt in diese Kategorie: von Haus aus ein Grieche, der auch zu den Römern beste Beziehungen unterhielt. Plutarch wollte die Römer, die sich zu seiner Zeit auf dem Gipfel ihrer Macht befanden, unter anderem davon überzeugen, dass Griechenland kulturell viel zu bieten hatte. Er wollte das Griechentum aufwerten. Griechenland war zu seiner Zeit herabgesunken zu einer unbedeutenden römischen Provinz. Trotz sorgfältigen Quellenstudiums (das freilich nicht mit heutigen Methoden zu vergleichen ist) ist Plutarch ein Musterbeispiel eines Historikers, der moralisch-didaktisch denkt und schreibt.
Aber: Die moralisch-didaktische Geschichtsschreibung fühlt sich nicht immer der Wahrheit verpflichtet.
DIE FÜNFTE LÜGE
Nehmen wir die religiöse Geschichtsschreibung aufs Korn, sind wir der fünften Lüge auf der Spur.
Untersuchen wir nur einmal die christliche Historiografie! Ereignisse, die nichts mit der christlichen Religion zu tun haben, werden kaum erwähnt und als unwichtig abgetan. Die christliche Heilsgeschichte bemüht sich, alles auf einen einzigen Punkt zulaufen zu lassen – auf Jesus Christus. Die Geschichte als Ganzes ist nebensächlich, erst nach Christus beginnt die christliche Zeitrechnung. Sie gilt als „Endzeit“.
Geschichte schreitet hier auf ein bestimmtes Ziel zu, das Endgericht oder Jüngste Gericht. Um diese Art von Geschichtsschreibung zu legitimieren, wird die Wahrheit in unvorstellbarem Ausmaß verdreht. Berufenere Geister als wir es sind haben hierauf bereits hinlänglich aufmerksam gemacht.
Und selbst die christliche Heilsgeschichte wird verdreht. Es wimmelt in einer solchen Geschichtsschreibung von Wundern und übernatürlichen Ereignissen. Diese Art von Geschichtsschreibung will Christen in ihrem Glauben bestärken oder neue Christen gewinnen. Es handelt sich um eine propagandistische Art der Geschichtsschreibung.
Nicht selten schreitet christliche Geschichte in bestimmten Schritten voran, der Dreierschritt ist besonders populär.
Andere Religionen machten sich dieser Art von (unwahrer) Geschichtsschreibung ebenfalls schuldig – niemand darf ausgenommen werden, weder Juden noch Muslime, weder Buddhisten noch Taoisten.
Grundsätzlich dominierte religiös motivierte Geschichtsschreibung, die einem bestimmten Glauben Vorschub leisten sollte, in Europa rund 3.000 Jahre lang die Geschichtsbücher. Die christliche Geschichtsschreibung verfälschte in unseren Breiten etwa 1.700 Jahre lang die Historie.
Misstrauen wir Geschichtsschreibern, die nur einer bestimmten Religion das Wort reden wollen!
DER SIEG DER VERNUNFT: VOLTAIRE
Einen neuen Meilenstein in der Geschichtsschreibung setzte der große Voltaire (1694–1778). Er begründete die moderne Historiografie gewissermaßen erst.
Neben seinen berühmten Romanen Zadig , Candide und Micromegas verfasste der größte französische Federfuchser auch geschichtliche Werke. So
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