Die groeßten Faelschungen der Geschichte
interviewte zahlreiche Persönlichkeiten. Der nüchterne, gescheite Thukydides versuchte darüber hinaus, Gründe für den Krieg zwischen den Athenern und Spartanern zu eruieren, also die Vorgeschichte dieses Krieges herauszufinden und die Ursachen auszuleuchten. Er beobachtete schärfer als andere, prüfte Aussagen nach und bemühte sich um Überparteilichkeit und Genauigkeit. Augenzeugenberichte dünkten ihm wertvoll, seine geschichtlichen Darstellungen sind frei von Erfindungen. Er fühlte sich nur der Wahrheit verpflichtet. Zunächst präsentierte er Fakten, bevor er mit viel Intelligenz seine Schlüsse zog. Thukydides ist kurz gesagt eine Lichtgestalt unter den Historikern. 2
Man könnte diese beiden Arten, Geschichte darzustellen – die Methode Herodots und die des Thukydides –, ohne Weiteres gegeneinander ausspielen. Das führt uns zur zweiten Lüge über die Geschichtsschreibung. Man könnte darauf beharren, dass ein Historiker sein Publikum zugleich gut unterhalten müsse – wie Herodot, und genauso gut könnte man fordern, dass ein Historiker der reinen Wahrheit verpflichtet sein solle – wie Thukydides. Hieraus ließe sich ein hübscher Gegensatz konstruieren, wie es tatsächlich vielfach getan wurde. Einigen Besserwissern erschien Thukydides zu trocken und zu faktenvernarrt. In Wahrheit lassen sich beide Methoden durchaus vereinbaren: Während es eine lässliche Sünde sein mag, nicht gut zu unterhalten, ist es gewiss eine Todsünde, die Wahrheit zu verdrehen, wenn man Geschichte schreibt.
Warum lässt man nicht einfach beide Methoden gelten, vereinigt sie in These und Antithese zur Synthese und hört auf, sich wechselseitig die Köpfe einzuschlagen – über die Frage, was angeblich die einzig richtige Methode der Geschichtsschreibung ist?
DIE DRITTE LÜGE
Betrachten wir die römische Geschichtsschreibung, insoweit sie uns zu Erkenntnissen verhilft.
Bereits in unserem Buch Die größten Lügen der Geschichte wiesen wir daraufhin, dass Cäsar wie gedruckt log, als er über seinen Krieg im heutigen Frankreich berichtete ( Bellum Gallicum ). 3 Wir lernen hieraus, dass Politiker selten oder nie dazu taugen, neutral über geschichtliche Vorgänge zu schreiben, verfechten sie doch stets ihren eigenen Standpunkt. Bewusst oder unbewusst suchen sie sich zu beweihräuchern, sich zu rechtfertigen, Sympathien zu gewinnen und den Leser auf die eigene Linie einzuschwören.
Das gilt auch für Cäsars Parteigänger Sallust (86–35 v. Chr.) Er ließ Cäsar in seinen Schriften hochleben – der Diktator hatte ihm offenbar mehr als einmal Kopf und Kragen gerettet. Ganz abgesehen davon war Sallust ein Windhund, seine persönliche Karriere galt ihm alles, er gestand in seinen eigenen Schriften ein, dass er sich bestechen ließ, von Neid zerfressen war und einen schlechten Ruf besaß. Als er hohe politische Positionen innehatte, beutete er schamlos römische Provinzen aus und raffte kaltblütig und skrupellos so viele Reichtümer wie eben möglich zusammen.
Als Geschichtsschreiber disqualifizierte Sallust sich demnach völlig. Er ergriff Partei! Das heißt: Auch Parteigänger können selten oder nie objektiv Geschichte verfassen. Sie sind Propagandisten. Wenn sie auch nur den Mund aufmachen, verdrehen sie schon die Wahrheit, sie lügen sozusagen von Haus aus. Sind sie außerdem bestechlich und von minderer ethisch-moralischer Qualität, kann man sie vollständig vergessen.
Weitaus edleren Gemüts als Sallust war der römische Geschichtsschreiber Tacitus (ca. 58–116 n. Chr.). Der Rechtsanwalt und Gerichtsredner machte auch als Senator von sich reden; er wurde vor allem als Historiograf berühmt. Kritisch nahm er die Verfallserscheinungen
Roms im 1. Jahrhundert n. Chr. unter die Lupe und beschrieb und beurteilte mit spitzer Feder verschiedene römische Kaiser. Tacitus forderte, sine ira et studio , also ohne Zorn und Eifer (besser: ohne Zorn und Übereifer oder Parteilichkeit), Geschichte zu verfassen – ein löbliches Postulat, dem er jedoch selbst selten gerecht wurde. Kein Geschichtswerk ergreift mehr Partei als seine Annalen ! 4 Er stützte sich bei seinen Recherchen auf Senatsakten, mündliche Berichte und Geschichtswerke, aber auch auf Hofklatsch. Als Anhänger der Republik kritisierte er verschiedene römische Tyrannen und brach eine Lanze für die Freiheit, was ihn uns sympathisch macht. Gleichzeitig ergriff er Partei für den Adel und die Senatoren, einen Stand, dem er selbst angehörte. Das macht ihn
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