Die große Zukunft des Buches
Geschriebenen und den Einsatz der neuen Werkzeuge elektronischer Lektüre erlaubt diese Erzählung vom Wohl und Wehe des Buches eine Relativierung der angekündigten Umwälzungen. Die vorliegenden Gespräche sind eine schmunzelnde Hommage an die Galaxie Gutenberg, und sie werden all jene Leser entzücken, die das Buch als Gegenstand lieben. Und es ist nicht auszuschließen, dass sie bei den Besitzern von E-Books einige Nostalgie wachrufen.
Jean-Philippe de Tonnac
Ouvertüre:
Das Buch wird nicht sterben
JEAN-CLAUDE CARRIÈRE: Beim Weltwirtschaftsforum in Davos 2008 hat man einen Futurologen nach den Ereignissen befragt, die seiner Meinung nach in den kommenden fünfzehn Jahren die Menschheit erschüttern werden, und er meinte, mit Sicherheit ließen sich nur vier grundlegende Dinge vorhersagen. Das erste sei ein Erdölpreis von 500 Dollar pro Barrel. Das zweite betreffe das Wasser, das im Begriff sei, ein kommerzielles Handelsgut zu werden wie Erdöl: Es werde dann einen Börsenkurs für Wasser geben. Die dritte Vorhersage war, dass Afrika in den nächsten Jahrzehnten mit Sicherheit zur Wirtschaftsmacht aufsteigen werde, was sich ja alle wünschen.
Das vierte Ereignis ist diesem berufsmäßigen Propheten zufolge das Verschwinden des Buches.
Die Frage ist also, ob der endgültige Untergang des Buches, wenn er denn wirklich stattfindet, für die Menschheit die gleichen Folgen haben wird wie beispielsweise die gezielte Wasserverknappung oder unzugängliches Erdöl.
UMBERTO ECO: Wird das Buch verschwinden, weil das Internet auf den Plan getreten ist? Ich habe schon vor gut zwanzig Jahren über dieses Thema geschrieben, als die Frage zum ersten Mal aufkam und wirklich relevant schien. Seitdem kann ich, wenn man mich um Äußerungen dazu bittet, nur immer wieder dasselbe sagen. Niemand merkt das, vor allem,weil nichts weniger gegenwärtig ist als etwas bereits Publiziertes, aber auch, weil die öffentliche Meinung (oder zumindest die Journalisten) stets diese fixe Idee hat, dass das Buch verschwinden werde (oder die Journalisten meinen, ihre Leser hätten diese fixe Idee), und so stellen alle unablässig immer wieder dieselbe Frage.
Eigentlich gibt es zu dem Thema recht wenig zu sagen. Durch das Internet sind wir ins Zeitalter des Alphabets zurückgekehrt. Wenn wir je geglaubt hatten, wir seien in eine Kultur des Bildes eingetreten, so führt uns der Computer wieder zurück in die Ära Gutenberg, und heutzutage sieht sich jedermann gezwungen zu lesen. Zum Lesen braucht man einen Datenträger. Der Computer allein kann dieser Träger nicht sein. Setzen Sie sich zwei Stunden an den Computer und lesen Sie einen Roman, und Sie bekommen Augen wie Tennisbälle. Ich habe zu Hause eine Polaroid-Brille, um die Augen vor den schädlichen Folgen längerer Bildschirmlektüre zu schützen. Außerdem ist der Computer auf Stromversorgung angewiesen, man kann ihn also nicht in der Badewanne lesen und auch nicht im Bett auf der Seite liegend. Das Buch erweist sich da als weitaus flexibler.
Entweder – oder: Entweder bleibt das Buch materieller Träger des Lesens, oder es wird etwas geben, das dem gleicht, was das Buch seit jeher war, schon vor der Erfindung des Buchdrucks. Die Entwicklungen rund um den Gegenstand Buch haben seit über fünfhundert Jahren weder an seiner Funktion noch an den Arten seiner Verwendung etwas Grundlegendes verändern können. Das Buch ist wie der Löffel, der Hammer, das Rad oder die Schere: Sind diese Dinge erst einmal erfunden, lässt sich Besseres nicht mehr machen. An einem Löffel gibt es nichts zu verbessern. Designer bemühen sich, zum Beispiel den Korkenzieher zuoptimieren, mit recht bescheidenem Erfolg, und im Übrigen funktionieren die meisten dieser Dinger nicht. Philippe Starck hat bei der Zitronenpresse etwas Neues versucht, aber weil er die Reinheit der ästhetischen Form wahren wollte, hat sein Gerät keine Vorrichtung, um die Kerne zurückzuhalten. Das Buch hat sich vielfach bewährt, und es ist nicht abzusehen, wie man zum selben Zweck etwas Besseres schaffen könnte als eben das Buch. Vielleicht wird es sich in seinen Komponenten weiterentwickeln, vielleicht werden seine Seiten nicht mehr aus Papier sein. Aber es wird bleiben, was es ist.
J.-C. C.: Mir scheint, in seinen neuesten Versionen tritt das E-Book in unmittelbare Konkurrenz zum gedruckten Buch. Das Modell »Reader« hat schon eine Speicherkapazität von 160 Titeln.
U. E.: Natürlich ist es für einen Staatsanwalt
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