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Die großen Erzählungen

Die großen Erzählungen

Titel: Die großen Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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wußte es auch so.
    Er trank Bier in der Wirtsstube. Das Bier paßte nicht zu seinem Gesicht, er hätte Wein trinken müssen. Er ließ sich von Anna bedienen und war sehr höflich. Er sprach lauter Schnörkel. Seine Worte sehen aus wie seine Unterschrift wahrscheinlich, dachte ich.
    In dieser Nacht bemerkte ich, daß mein Licht fehlte. Ich machte die Tür auf und ging zu Anna in die Stube. Anna war im Hemd und weinte. Sie blieb auf ihrem Bett sitzenund erschrak nicht, als ich kam, sondern weinte ruhig und mit Ausdauer weiter.
    Dann sagte sie: »Er sieht genauso aus!«
    Der neue Gast sah genauso aus wie Annas Ingenieur.
    »Es ist schrecklich!« sagte Anna.
    Seit damals liebten wir uns und verbargen es nicht voreinander. Anna konnte sehr zärtlich sein und eifersüchtig auch. Aber ich kümmerte mich nicht um die Frauen. Die Frauen dieser Stadt gefielen mir gar nicht.
    Nur wenn ich sah, wie sie an goldumrahmten Frühlingsabenden über die Felder wanderten, ein Paar ums andere, rührten sie mich. Sie waren dazu da, die Welt zu erneuern. Sie wuchsen, liebten und gebaren. Im Frühling begannen sie ihr mütterliches Werk und vollendeten es im Laufe der Jahre. Ich sah, wie sie , berauscht und mit Appetit auf Rausch, harmlos und beflissen, Gottes Gebot zu erfüllen, wie Maikäfer in die Wälder ausschwärmten.
    Spät in der Nacht noch standen sie in den dunklen Hausfluren, klebten sie an den Lippen und Schnurrbärten der Männer, kicherten und waren dankbar bis zur Demut für jedes gute Wort, das man ihnen in den Schoß warf. Schön waren die Nächte, in denen die Grillen und die Mädchen unermüdlich zirpten.
    Und die Regentage auch.
    Die Mädchen standen in den Fenstern und lasen in Büchern aus der Leihbücherei und aßen Butterbrot. Ein Regenschirm schwankte durch die Gasse und überdachte den zierlichen, dünnen Notariatsschreiber. Er sah aus wie eine aufrecht gehende Heuschrecke.
    Strohhalme tänzelten, wirbelten, drehten sich kokett und schwammen ahnungslos dem Verderben der Kanalgitter zu. Ich lief nicht mehr, sie aufzuhalten. Immer dachte ich, daßich es doch tun müßte. Der Regen, die Harmlosigkeit des Strohhalms, das Kanalgitter und ich gehörten zusammen. Vielleicht war auch noch der Notariatsschreiber dabei. Der Regentag war grau schraffiert, der Strohhalm ertrank, das Kanalgitter verschluckte ihn, der Notariatsschreiber stocherte schirmüberdacht durch die Gasse. Und ich hätte eigentlich laufen müssen, den Strohhalm retten. Jedes in der Welt hat seine Aufgabe.
    Sehr früh am Morgen stand ich täglich auf. Anna schlief noch, und der Wirt und der zweite Gast. Die Stiefel der Hausbewohner standen, noch nicht gereinigt, ein Stück Gestern, vor den Türen. Im Hof pendelte der Pudel, gähnte und suchte nach vergessenen Knochen unter der Hoteldroschke, die, unbespannt, mit einer zwecklosen Deichsel, vor dem Schuppen wartete wie ein ausgegrabenes Gefährt. Jakob, der Kutscher, schnarchte im Schuppenbau, brünstig und stark; er schnarchte einen Hymnus auf Natur und Gesundheit. Es war gar nicht lächerlich, sein Schnarchen. Es klang selbstverständlich und machtvoll; ein Naturlaut, ein verhülltes Donnerrollen, ein Hirschröhren. Um fünf Uhr erhob sich ferne und wie aus übersinnlichen Welten heranschwellend das klagende Tuten der Dampfmühle und weckte Jakob, den Kutscher. Er mußte in den Kleidern geschlafen haben, denn er kam, gleichzeitig mit dem letzten, verzitterten Oberton der Mühlensirene, in seiner großkarierten Ärmelweste, in Hosen und bestiefelt, barhaupt, mit einem zerknitterten Pergamentgesicht, sprudelte aus trichtergeformtem Munde Wasser auf seine gekrümmten Handflächen und rieb sich Stirn und Augen. Dann ging er quer über den Hof ins Haus, schwer und mühevoll, als müßte er jedes Bein wie einen Baum mit Wurzeln aus der Erde ziehn.
    An der ersten Straßenbiegung klinkte Käthe ihr Fenster auf und sah hinunter in die Stadt. Ich grüßte Käthe immer.Ich hatte noch nie mit ihr gesprochen, ich hatte gar nichts mit ihr zu sprechen, ich grüßte sie nur, weil sie aus dem Fenster sah und weil die Welt so früh am Morgen noch nicht konventionell war, sondern einfach wie in den ersten Tagen ihrer Kindheit, ein paar Jahre nach der Erschaffung, als noch im ganzen zwanzig Menschen sie belebten und alle zwanzig freundlich und gut miteinander waren. Später, wenn ich heimkehrte, war’s Mittag bereits, die Welt um alle Jahrtausende älter, und ich grüßte nicht mehr, weil es sich nicht schickte, in einer so

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