Die grünen Augen von Finchley
soll dieser überhebliche Dummkopf zusehen, wie er seine Rolle mit heiler Haut überlebt. Sie jedoch liebe ich, und ich glaube trotz aller Hoffnungslosigkeit, die momentan alles überschattet, Sie doch noch einmal die Meine nennen zu dürfen …
Ihr R. P.«
Gespannt blickten Evelyn und Woodrof auf den Lesenden. Dessen Gesicht blieb unbewegt. Er zog ein flaches Buch aus der Tasche und verglich irgendwelche Schriften. Wortlos studierte er dann durch eine Lupe den Poststempel, den Umschlag und das Papier und zum Schluß auch die Tinte. Schließlich nickte er und steckte das Schreiben ein: »Es ist tatsächlich dieselbe Schrift. Der Absender muß also dieser Rao Putrana sein. Also ist er nicht tot. Der Ermordete ist ein Fremder, dem der Mörder seine Kleidung angezogen hat. – Aber warum schreibt Putrana diesen Brief, der ihn unweigerlich verrät und uns auf seine Spur führt?«
Obwohl Corner sich eisern zu beherrschen suchte, konnte er doch nicht verhindern, daß bei diesen Worten seine linke Augenbraue verräterisch hochzuckte.
Doch der Anwalt war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um das zu bemerken. »Sie müssen schon meinen Unwillen verstehen … Nicht nur, daß Fräulein Marshall weiter belästigt wird – jetzt werde sogar auch ich von diesem Mörder-Phantom bedroht!«
»Das ist eine große Dummheit von ihm«, meinte der Inspektor sinnend.
»Wieso?« Woodrof schien verblüfft.
»Weil er damit beweist, daß er Angst hat, entdeckt zu werden.«
Ironisch verzog der Anwalt die Lippen. »Ist das etwa der berüchtigte Fehler, den Ihrer und Ihrer Kollegen Ansicht nach jeder Verbrecher begeht?«
Corner ging nicht darauf ein. Er verneigte sich vor Evelyn: »Ich muß sofort in den Yard zurück, denn ich erwarte heute noch eine wichtige Mitteilung. Es steht nämlich fest, daß der Mörder bei der Ausführung seines Verbrechens einen groben Fehler gemacht hat. Wohl zerstörte er mit kaltblütiger Grausamkeit das Gesicht und die Haut der Fingerspitzen seines Opfers. Bei seinem bestialischen Tun entging ihm jedoch, daß der Tote noch ein anderes unverwechselbares Kennzeichen am Körper trug. Und dieses Kennzeichen spricht jetzt gegen ihn und wird uns den Namen des Erschlagenen nennen.«
In Scotland Yard erwartete Sergeant Battle den Inspektor mit einer langen Liste.
Corner warf zunächst nur einen flüchtigen Blick auf die Namensreihen und stöhnte: »Ich hätte nie gedacht, daß so viele Londoner kranke Gallen haben. In zwei Jahren vierhundertzweiundsechzig Operationen, davon dreihundertneununddreißig Entfernungen der Gallenblase!«
Beruhigend sah Battle seinen Chef an: »Sie brauchen die vielen Namen nicht durchzulesen. Das habe ich schon getan und dabei eine sonderbare Entdeckung gemacht: Nummer zweihundertneunundfünfzig, September 1981, Gallenblasenentfernung bei Dr. Pat Woodrof, Croydon.«
Dr. Woodrof … Unmöglich war der Ermordete der Anwalt Pat Woodrof … Der hatte ihm doch vor wenigen Minuten noch bei Evelyn Marshall gegenübergesessen …
Es kam Corner vor, als ob er sich immer tiefer und hoffnungsloser in einem Irrgarten verlaufen würde. Im Moment wußte er weder aus noch ein.
Zwei Ereignisse rissen ihn jedoch schon bald aus seinen fruchtlosen Grübeleien.
10
Zunächst wurde die von ihm geleitete Mordkommission alarmiert: Leichenfund in einem ländlichen Villenvorort: Eine korpulente alte Frau, Mord auf der Straße, Tod durch Erdrosseln …
Wenige Minuten nach Eingang der Meldung jagten die Limousine des Inspektors, ein Spurensicherungswagen und das Krankenauto der Abteilung III/M. von Scotland Yard zum Tatort.
Ahnungsvoll lehnte Corner im Fond seines Wagens. Für ihn war es klar – gleich würde er vor einem neuen Opfer der ›Bestie von Finchley‹ stehen …
Nun bog die Autokolonne in die gemeldete Straße ein. Schon von weitem bot sich den Beamten das übliche Bild: absperrende Polizisten, etliche neugierig-lüsterne Menschen und am Boden – in der Mitte der Szenerie – ein seltsam verkrümmter Körper, von einer Zeltplane bedeckt.
Als Corner den feucht-steifen Stoff etwas anhob, sah er in das einst so gütige und lebhafte Gesicht der Pensionsinhaberin Mabel Pach …
Nach dem Ende des trinkfreudigen Ben Farmer war sie der zweite Zeuge, den der kaltblütige Mörder innerhalb weniger Stunden aus dem Weg geräumt hatte.
Das zweite Ereignis hatte ein kleines Vorspiel: Nach den mißlungenen Mordanschlägen auf den Inspektor lebte der von dem Maskierten gedungene Meuchelmörder
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