Die Günstlinge der Unterwelt - 5
ein wenig hin und her und begannen schließlich, offenbar zufrieden, daß sie nichts anderes im Sinn hatte, als mit ihnen das Wasser zu teilen, sich zu putzen. Der Himmel war an diesem neuen Tag in ein prächtiges Rosa und Violett getaucht, die Luft frisch und klar. Obwohl tief beunruhigt über das, was sie erfahren hatte, verspürte sie auch Hoffnung. Sie hatte das Gefühl, als sei auch ihr Verstand, wie alles, das sie im Licht des neuen Tages umgab, erhellt worden.
Verna schüttelte das Wasser von ihren Händen und überlegte besorgt, wie sie feststellen sollte, welche Schwestern sich dem Hüter verschworen hatten. Nur weil die Prälatin ihr Vertrauen in sie setzte und dies angeordnet hatte, hieß das noch lange nicht, daß Verna es auch schaffen würde. Sie seufzte, küßte den Ring der Prälatin und bat den Schöpfer, er möge ihr doch helfen, einen Weg zu finden.
Verna konnte es kaum erwarten, Warren von der Prälatin und all den Dingen, die sie im Gespräch mit ihr erfahren hatte, zu berichten. Aber sie war auch niedergeschlagen, denn sie würde ihn bitten müssen, sich zu verstecken. Sie wußte nicht, wie sie ohne ihn zurechtkommen sollte. Wenn er einen sicheren Ort nicht allzuweit entfernt fand, konnte sie ihn vielleicht gelegentlich besuchen und würde sich nicht so alleine fühlen.
Verna mußte lächeln, als sie in ihrem Büro die Stapel wartender Berichte sah, die jeden Augenblick umzukippen drohten. Sie ließ die Tür zum Garten auf, um die kühle Morgenluft herein- und die abgestandene Luft aus dem Büro hinauszulassen. Sie ging daran, die Berichte zu ordnen, die Papiere ordentlich übereinanderzulegen, die Stapel zu begradigen und an der Kante aufzureihen. Zum ersten Mal konnte sie ein bißchen vom Holz der Tischplatte erkennen.
Verna sah auf, als die Tür sich öffnete. Phoebe und Dulcinia, beide mit weiteren Berichten in der Armbeuge, erschraken, als sie sie erblickten.
»Guten Morgen«, meinte Verna gutgelaunt.
»Verzeiht uns, Prälatin«, sagte Dulcinia. Ihre durchdringenden blauen Augen wurden aufmerksam, als sie die säuberlichen Stapel mit den Berichten sah. »Wir wußten nicht, daß die Prälatin schon so zeitig arbeiten würde. Wir hatten nicht die Absicht zu stören. Wir sehen ja, daß Ihr eine Menge Arbeit habt. Wenn Ihr gestattet, werden wir diese hier einfach zu den anderen legen.«
»Aber ja, bitte«, sagte Verna und deutete mit einer einladenden Handbewegung auf den Schreibtisch. »Leoma und Philippa werden froh darüber sein, daß ihr sie mir gebracht habt.«
»Wie bitte, Prälatin?« sagte Phoebe, ihr rundes Gesicht unbewegt und staunend.
»Ach, ihr wißt schon, was ich meine. Meine Beraterinnen sind natürlich bestrebt, daß der Palast so reibungslos funktioniert wie ein frisch geschmiertes Rad. Leoma und Philippa sind in Sorge wegen des großen Pensums.«
»Des großen Pensums?« fragte Dulcinia, deren Stirnfalten immer tiefer wurden.
»Die Berichte«, sagte Verna, als sei dies selbstverständlich. »Sie wollen bestimmt nicht, daß jemand, der so neu auf diesem Posten ist wie ihr zwei, eine solche Verantwortung übernimmt. Wenn ihr weiter hart arbeitet, werde ich sie euch vielleicht eines Tages anvertrauen. Natürlich nur, wenn sie es für angeraten halten.«
Dulcinias Miene verfinsterte sich. »Was hat Philippa gesagt, Prälatin? Welchen Bereich meiner Erfahrung findet sie zu unzureichend?«
Verna zuckte die Achseln. »Verstehe mich nicht falsch, Schwester. Meine Beraterinnen haben dich in keiner Weise verhöhnt, sie waren eigentlich voll des Lobes für dich. Nur haben sie deutlich zum Ausdruck gebracht, wie wichtig die Berichte sind, und mich dringend gebeten, mich persönlich darum zu kümmern. Sicher werden sie in ein paar Jahren ihre Meinung ändern und genügend Selbstvertrauen haben, mich zu beraten, wenn ihr bereit seid.«
»Bereit wozu?« fragte Phoebe verwirrt.
Verna deutete mit einer wedelnden Handbewegung auf die Stapel mit Berichten. »Nun, es ist die Pflicht der Beraterinnen der Prälatin, die Berichte zu lesen und zu bearbeiten. Die Prälatin muß die Erledigung nur gelegentlich überwachen, um sicherzustellen, daß sie gute Arbeit leisten. Da meine Beraterinnen mich gedrängt haben, die Berichte selbst zu bearbeiten, nahm ich an, es stünde wohl außer Frage, daß sie … nun, ich bin sicher, sie haben niemanden kränken wollen, so wie sie euch beide stets loben.« Sie schnalzte mit der Zunge. »Dennoch wurden sie nicht müde, mich daran zu erinnern,
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