Die Günstlinge der Unterwelt - 5
vergangen. Ich hoffe, du bist wohlauf und dein Yabree singt für dich.«
»Ja«, stammelte er. »Er singt davon, daß jemand nach mir verlangt.«
»Die Königin!«
»Ja, die Königin. Sie verlangt nach mir.«
»Und? Bist du bereit, ihr zu helfen? Sie zu befreien?«
Er nickte. Sie drehte sich um und führte ihn tiefer in die Ruinen hinein. Mehrere Mriswiths schlossen sich ihnen an, als sie durch die eingefallenen Türen ins Innere traten. Mondlicht fiel durch efeuüberwucherte Mauerlükken, als die Wände jedoch stabiler wurden, entzündete sie im Gehen eine Flamme in ihrer Handfläche. Richard folgte ihr Stufen hinauf, die sich in die düsteren Ruinen schraubten, durch Korridore, die offenbar seit Tausenden von Jahren niemand mehr betreten hatte.
Als sie einen riesigen Saal betraten, genügte die Helligkeit des Lichtes in ihrer Hand plötzlich nicht mehr. Merissa schickte eine kleine Flamme in die Fackeln auf beiden Seiten und tauchte den riesigen Raum damit in ein flackerndes Licht. Ringförmig um den riesigen Saal zogen sich längst vergessene, mit Staub und Spinnweben bedeckte Emporen, von denen aus man auf ein gefliestes Wasserbecken blickte, das das Hauptgeschoß bildete. Die Fliesen, einst weiß, waren mittlerweile dunkel von Flecken und Schmutz, und das trübe Wasser des Beckens war durchsetzt mit Schlinggewächsen. Oben in der Mitte war die teils überkuppelte Decke offen, und dahinter ragten Gebäude in die Höhe.
Die Mriswiths glitten neben ihn und blieben dicht bei ihm stehen. Sie schlugen ihre Yabree gegen seine. Das angenehme Singen brachte das ruhige Zentrum in seinem Inneren zum Schwingen.
»Dies ist der Platz der Königin«, meinte einer »Wir können zu ihr, und wenn die Jungen geboren werden, dürfen sie sich entfernen, doch die Königin darf diesen Ort nicht verlassen.«
»Warum nicht?« fragte Richard.
Der andere Mriswith trat nach vorne und streckte seine Kralle aus. Als sie mit etwas Unsichtbarem in Berührung kam, glühte ein großer, kuppelförmiger Schild sanft leuchtend auf. Die glänzende Kuppel paßte genau unter jene aus Stein, nur daß sie oben kein Loch aufwies. Der Mriswith zog die Kralle zurück, und der Schild wurde wieder unsichtbar.
»Die Zeit der alten Königin läuft ab, und sie wird schließlich sterben. Wir haben alle von ihrem Fleisch gegessen, und aus dem letzten ihrer Jungen ist eine neue Königin hervorgegangen. Die neue Königin singt zu uns durch den Yabree und teilt uns mit, daß sie reichlich Junge hat. Es ist an der Zeit, daß die neue Königin weiterzieht und unsere neue Kolonie aufbaut.
Die Große Barriere ist verschwunden, und die Sliph wurde geweckt. Jetzt mußt du der Königin helfen, damit wir neue Reiche gründen können.«
Richard nickte. »Ja. Sie muß frei sein. Ich kann ihr Verlangen spüren. Es erfüllt mich mit dem Gesang. Warum habt ihr sie nicht befreit?«
»Das können wir nicht. So wie du gebraucht wurdest, um die Türme auszuschalten und die Sliph aufzuwecken, so kannst auch nur du die Königin befreien. Es muß geschehen, bevor du zwei Yabree in Händen hältst und sie beide zu dir singen.«
Geleitet von seinem Instinkt ging Richard zur Treppe an der Seite. Er spürte, daß der Schild am unteren Rand stärker war. Er mußte oben durchbrochen werden. Er hielt den Yabree vor seine Brust und stieg die steinernen Stufen hinauf. Er versuchte, sich vorzustellen, wie wundersam zwei von ihnen wären. Sein tröstliches Lied beruhigte ihn, doch das Verlangen der Königin trieb ihn weiter. Die Mriswiths blieben zurück, Merissa dagegen folgte ihm.
Richard bewegte sich, als wäre er den Weg schon einmal gegangen. Die Stufen führten nach draußen, dann eine Wendeltreppe neben den eingestürzten Säulen hinauf. Das Mondlicht warf zackige Schatten zwischen die schroffen Steine, die sich inmitten der Ruinen erhoben.
Endlich erreichten sie die Spitze eines kleinen, kreisrunden Beobachtungsturmes, zu dem seitlich Pfeiler aufstrebten, die weiter oben durch die Überreste einer mit Wasserspeiern verzierten Balkenkonstruktion verbunden waren. Offenbar hatte diese einst die gesamte Kuppel umspannt und Türme wie den, auf dem sie standen, miteinander verbunden. Von dem hohen Turm aus konnte Richard durch die Kuppelöffnung nach unten blicken. Das gewölbte Dach stand voller gewaltiger Säulen, die Dornen gleich nach außen und in Reihe nach unten verliefen.
Merissa, in einem roten Kleid, der Farbe, die sie stets getragen hatte, wenn sie zu ihm gekommen
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