Die Händlerin von Babylon
haben es gefunden, Chérie.«
Das Portal glühte mit dem vertrauten Feuer. Sicherheit. Eine heilende Flamme. Er legte Chloes Leib darunter ab. Sie atmete
immer noch, nunmehr allerdings kaum hörbar.
»Ich weiß, dass es nicht der richtige Zeitpunkt ist«, flüsterte er dem Einen zu, der ihm gewiss zuhörte. »Du hast die Zeiten und Bestimmungen festgelegt und befolgst sie auch.« Er blickte ins Antlitz seiner geliebten Gemahlin. Wahrscheinlich hatte sie sich irgendwo den Kopf angeschlagen, war gestürzt und hatte dabei irgendwie die Flammen entfacht. Die sie zuallererst verzehrt hatten. Ein grauenvoller Zufall; eine schallende Ohrfeige, ausgeteilt von der Hand des Schicksals.
»Ich bitte dich nicht um eine besondere Gnade, weil ich mich für einen guten Menschen halte. Sondern weil ich weiß, dass du ein gnädiger Gott bist. Du liebst diese Frau weitaus inniger, als ich Sterblicher es je könnte.« Sein Blick streichelte ihren Leib. Zugrunde gerichtet. »Sie hat noch so viel zu geben. Lass sie am Leben, lass sie ihre Bestimmung finden.« Ihm versagte die Stimme. »Lass sie unvergleichliche Liebe kennen lernen.«
Nichts.
»Schenk ihr noch eine Chance. Schenk ihr das Leben.«
Das blaue Licht in der Kammer flackerte immer weiter, es ließ die Seiten der eigentlichen Bundeslade funkeln - die man hier unten versteckt hatte, um das Volk vor ihrer Schrecken gebietenden Macht zu beschützen -, es zuckte über die gewölbte Kalksteindecke, doch kein tosender Wind erhob sich, keine mächtige, donnernde Stimme war zu vernehmen. Cheftu wirbelte herum, weil er Krallen schaben hörte. Eine neugierige Ratte beobachtete ihn, aufrecht auf den Hinterbeinen sitzend, mit blau reflektiertem Licht in den glasigen Augen.
Chloes Atem stockte.
Und erstarb.
Eine Hand auf ihrer verkohlten Brust, sah Cheftu bangend auf sie herab. Nichts regte sich. Er schloss die Augen und ließ den Kopf sinken. Wie von selbst bewegten sich seine Lippen. »Dein Wille geschehe.«
Eigentlich hätte auch sein Herz aufhören müssen zu schlagen, doch es trottete erbarmungslos weiter, durch die Sekunden, durch die Minuten, durch viertel und halbe und ganze Stunden. Er erinnerte sich daran, wie er ihr zum ersten Mal begegnet war, wie lebendig und fröhlich ihre grünen Augen gestrahlt hatten. Stets hatte sie vor Leben gesprüht wie ein Frühlingstag. Selbst in den vergangenen Jahren, als die Sorgen immer weiter an ihr genagt hatten, bis er irgendwann befürchten musste, es würde nichts von ihr übrig bleiben.
Kein Kind, keine Familie, keine Berufung, keine Leidenschaft.
Verzeih mir, dachte er. Ich habe das Wichtigste aus dem Blick verloren, jeder Tag, an dem deine Augen vom Weinen gerötet waren, war ein weiterer Tag, an dem ich dich enttäuscht hatte. Ich habe es nicht geschafft, dir ein Kind zu schenken, ich habe es nicht geschafft, einen Beruf für dich zu finden, ich habe es nicht geschafft, dich glücklich zu machen. Und irgendwann habe ich einfach aufgegeben. Verzeih mir. Ich habe die Tage vergeudet, die uns geschenkt waren. Er spürte, wie etwas in ihm zerbrach, wie sich eine Kluft auftat, und ihm war klar, dass von diesem Moment an nichts mehr zählte. Er hatte Chloe verloren; und er würde hier bleiben, bis er ebenfalls dahingegangen war.
Ihr Brustkorb schien einzusinken.
Er schlug die Augen auf.
Vor seinen Augen verschmolz ihr Leib mit dem Lehm.
Er streckte die Hand aus, um ihre Augen zu schließen, doch grünes Feuer schlug ihm daraus entgegen. Cheftu zuckte zurück.
Das Wachs und der Staub ihres Fleisches und das Feuer ihrer Seele tanzten und wirbelten im blauen Licht, bis von Chloe Bennett Kingsley Champollion nichts mehr übrig war als etwas blutfleckige Wolle, ein zusammengeschmolzener Ehering und ein entsetzter, rauchgeschwärzter, neue Hoffnung schöpfender Ehemann.
ZWEITER TEIL Der Stern
Die Sterndeuterin spürte, wie ihr der Atem stockte, als sie die Himmelsherden vorüberziehen sah. Der Stern Inanas, der knapp über dem Horizont stand und so hell leuchtete, dass er auch tagsüber zu erkennen war, strahlte heute Abend lila. Mit bebenden Händen konsultierte die Frau die Karte, an der sie nun schon seit Jahren arbeitete. »Das darf nicht geschehen«, murmelte sie in die stille Nacht.
Vor ihren Augen überzog sich der Mond mit einem rötlichen Schleier.
Ganz allein stand sie auf dem flachen Dach, von dem aus sie das gesamte Gemeinwesen von Ur überblicken konnte. In den Straßen unter ihr brannten ein paar vereinzelte Fackeln
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