Die hässlichste Tanne der Welt (German Edition)
des Abends in der Unfallstation verbringen.»
Was so ein kleines Missgeschick doch an Emotionen auslöst, sinniere ich. Alle Gäste sind erleichtert, dass die Party ohne größere Störung weitergeht. Jan darf ein grünes Päckchen auswählen, das er ungeduldig aufreißt. Heraus kommt eine Flugscheibe, die auf einen Griff gesetzt und mittels Zugseil abgeschossen wird. Die gab’s schon zu meiner Kindheit. Genau das Richtige für kleine Jungs – und genau das falsche Spielzeug in Wohnungen. Und noch ehe ich ihn ermahnen kann, die Scheibe nicht abzuschießen, saust sie auch schon quer durchs Zimmer. Wir ziehen instinktiv die Köpfe ein.
«Jan-Georg, der Bauuum!»
Bernd stürmt ins Zimmer. Leider kommt sein aufgebrachter Warnruf zu spät. Die Scheibe donnert mit voller Wucht direkt in die schönste Tanne der Welt.
23 . 00 Uhr Was für ein Tag! Langsam lässt mein Herzklopfen nach, und auch mein Puls beruhigt sich. Nicht in meinen kühnsten Träumen wäre mir eingefallen, wie aufregend so eine Xmas-Party sein kann.
Ich höre immer noch Bernds panischen Schrei und sehe seine entsetzte Miene vor mir. Obwohl Jans Flugscheibe lediglich zwei Kugeln zerdeppert und ein paar Nadeln abrasiert hat, war auch Katja völlig mit den Nerven runter. Zum Glück hatte Robert den prächtigen Christbaum in weiser Voraussicht (vielleicht auch in der Hoffnung auf eine richtig wilde Party) gut festgebunden. Deshalb hat der prächtige Baum auch die ebenso heftige Flugscheiben-Attacke von Eric ohne größeren Schaden überstanden. Logisch, dass der Kleine auch unbedingt schießen wollte. Natürlich hätte Katja das mit aller mütterlichen Macht verhindert. Also musste Eric nur abwarten, bis Mama mal auf die Toilette verschwand. Als sie zurückkam und gesehen hat, dass drei weitere Kugeln zu Bruch gegangen waren, folgte ein Donnerwetter und die Drohung, dass der Weihnachtsmann nun doch keine Geschenke bringen würde. Robert rettete die Situation mit der Behauptung, so schlimm würde es vermutlich nicht werden, denn er habe bereits einen vollbeladenen Schlitten im Hinterhof erblickt. Die Kinder sollten selber nachsehen, wozu sie nur aus dem Küchenfenster schauen müssten. Ein cleverer Trick, um die Kleinen aus dem Zimmer zu bekommen. Inzwischen konnten wir Erwachsen die Geschenke aufbauen, was schnell erledigt war.
Nach der Bescherung räumte Katja ein, dass eine lustige Party gar nicht sooo verkehrt wäre. Die Kinder hätten jedenfalls Spaß gehabt. Doch auch sie hat die amerikanische Weihnachtsparty genossen, das habe ich ihr deutlich ansehen können. Madeleine versicherte ihrer Schwester, die Jungs hätten die Feier bei Robert garantiert lustiger gefunden als ein besinnliches Fest im trauten Familienkreise. Und so sehr hätte sich der Abend doch nicht unterschieden. Schlussendlich hätten wir alle zusammen mit einer Coloradotanne gefeiert, worauf es Katja doch angekommen wäre. Ich habe den Verdacht, als stünde für Madeleine und Robert das nächste gemeinsame Weihnachtsfest bereits fest, so, wie die einander angegrinst haben. Als hätten sie was ausgeheckt. Ich wäre sofort dabei, denn ein vergnüglicher Abend ist doch die schönste Belohnung für die vorangegangenen stressigen Wochen.
Zufrieden lehne ich mich zurück.
«Du bist so still, alles in Ordnung?» Friedrich sitzt mir gegenüber und schaut mich gespannt an.
«Ja, alles in bester Ordnung», beteure ich. «Mich beschäftigt nur eine halbgare Gans», antworte ich. «Außerdem muss ich an die hässlichste Tanne der Welt denken, die bei mir zu Hause rumsteht. Eine nadellose Krücke, die den Namen Tanne eigentlich gar nicht verdient.»
Friedrich runzelt die Stirn, als spräche ich über einen Einbruch in meiner Wohnung. «Wie das?»
Vergnügt gebe ich einen Bericht der Geschehnisse. «Und das mir, wo ich im Grunde auf das Fest verzichten wollte», sage ich am Ende.
Schmunzelnd hat Friedrich mir zugehört. «Wie das Leben so spielt», entgegnet er dann. «Und wer weiß, wie Heiligabend ohne Katjas verrückte Tannenjagd verlaufen wäre.» Er beugt sich etwas vor und nimmt meine Hände in seine. «Hätte sie ihren perfekten Baum gefunden, wärt ihr doch niemals bei uns aufgetaucht.»
Fragend sehe ich ihn an. «Bist du denn nicht mehr traurig wegen Churchill?»
«Doch. Ein ganz kleines bisschen, und natürlich wird es eine Weile dauern, bis ich seinen Tod realisiere», antwortet er leise. «Aber er hatte ein schönes, langes Leben und liegt jetzt hinterm
Weitere Kostenlose Bücher