Die hässlichste Tanne der Welt (German Edition)
14. Dezember, Samstag,
10 Tage und 2 lange Samstage bis Weihnachten
Christmas is all around …
dudelt aus den Lautsprechern.
Uff
stöhne ich lautlos, als eine Kundin ihre großen Einkaufstüten auf den Tresen wuchtet.
«Als Geschenk verpackt», verlangt sie mit nervösem Zucken um den Mund.
Wäre ich von alleine nie drauf gekommen. Aber diese unhöflichen Kommandos ignoriere ich inzwischen. In den letzten Tagen vor dem größten Fest des Jahres sind die meisten Kunden im totalen Dauerstress, da verteilen sie keine netten Worte mehr, geschweige denn ein freundliches Bitte.
«Welches Papier darf’s denn sein, gnädige Frau?» Lächelnd deute ich zu den Folien-Rollen mit Weihnachtsmotiven, die an der Wand befestigt sind.
Die nerzmantelumhüllte Dame rümpft die Nase. «Wie,
das
ist alles?» Ihr schrill-vorwurfsvoller Ton klingt, als wollte ich ihre Präsente in die vergilbte Weihnachtsausgabe der Süddeutschen Zeitung vom letzten Jahr einwickeln und mit ordinärer Paketschnur zusammenbinden.
Aber ich muss zugeben, die Geschenkfolien-Auswahl ist in den letzten Jahren tatsächlich immer bescheidener geworden. Dunkelblau mit hellblauen Streifen. Rot mit weißen Schneeflocken. Weiß mit lustigen roten Weihnachtsmännern. Nicht hässlich. Aber banal. Absichtlich. Wie sagt der Chef immer: «Wir sind schließlich nicht die Heilsarmee, sondern ein gewinnorientiertes Unternehmen und führen ein respektables Sortiment allerfeinsten Geschenkpapiers. Zum Kaufen!»
Das
sollen die Kunden bitte schön erwerben und nicht Verpackungen schnorren. Der kostenlose Service war ursprünglich mal ein Angebot für Menschen, denen am 24 . Dezember kurz vor Ladenschluss siedend heiß einfällt, dass Weihnachten ist und man an diesem Tag seine Lieben beschenkt. Inzwischen nutzt jeder Zweite das Geiz-ist-geil-Angebot (auch so eine Formulierung meines Chefs), kaum jemand wickelt seine Einkäufe noch selbst ein, und der Service verursacht längst zu viele Kosten. An den Samstagen packen wir hier ohnehin schon immer zu zweit und in den letzten Tagen vor Weihnachten teilweise sogar zu viert. Anders ist der Ansturm nicht zu bewältigen. Damit die vermeintlichen Schnorrer nicht überhandnehmen, wurde die Auswahl auf drei mickrige Motive nebst scheußlicher Zwirbelbänder reduziert. Dafür stecken wir Packengel jetzt in rot-grünen Kostümen und tragen rote Mützen, unter der mir heute ziemlich heiß ist.
«Haben Sie denn nicht etwas … Wie soll ich sagen …» Ihre Stimme klingt nun wesentlich freundlicher, und sie überlegt sichtlich angestrengt. «Etwas Eleganteres?», presst sie dann zwischen den pinkfarben bemalten Lippen hervor. «Man möchte schließlich ein repräsentatives Geschenk unter den Baum legen. Nicht so ein Nullachtfünfzehn-Päckchen mit Plastikbändchen. Da erkennt doch jeder gleich, woher die Verpackung stammt.»
Ach, da wäre ich nie im Leben drauf gekommen, feixe ich im Stillen und schlucke das Genörgel runter wie ein staubtrockenes Weihnachtsplätzchen vom letzten Jahr. Zu gerne würde ich entgegnen, dass es auf den Inhalt und nicht auf die Verpackung ankommt. Ihre lieblos ausgesuchten SOS -Geschenke, eine phantasielose Barbiepuppe und ein grausliches Videospiel, kann keine noch so güldene Hülle aufwerten.
Natürlich verkneife ich mir jegliche Bemerkung und sage: «Verstehe, gnädige Frau», während ich auf die große Bodenvase deute, in der wir diverse Rollen Geschenkpapier bereithalten. «Hier hätten wir einige sehr edle Papierbogen, echte Stoffbänder und diverses Dekorationsmaterial. Leider müsste ich Ihnen dafür aber etwas berechnen.»
Sie stutzt einen Moment. «Frechheit!», faucht sie dann entrüstet. «Dem Kunden auch dafür noch das Geld aus der Tasche ziehen.»
Na, die paar Euros extra werden sie wohl nicht gleich aufs Sozialamt treiben. Der Nerzmantel, die protzige Krokotasche und vor allem die schweren Goldkugeln an den Ohren verraten nur allzu deutlich, dass sie nicht im Pappkarton unter einer Brücke haust. Aber wie heißt es so schön? Von den Reichen muss man Sparen lernen!
Wortlos lächelnd, wie ich es jeden Morgen vor dem Spiegel übe, bleibe ich ruhig und schiele unauffällig auf meine Armbanduhr. Noch knapp zehn Minuten, dann ist meine heutige Packengel-Schicht zu Ende. Bis um sechzehn Uhr die Ablöse kommt, muss ich aber noch mindestens zwanzig Päckchen fabrizieren, wenn ich den nächsten vollbeladenen Kunden betrachte, der ungeduldig in der Schlange steht.
Nach kurzem Überlegen
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