Die Häupter meiner Lieben
geplagt, die von fetter Leberwurst, schweren Düften und traumatischen Erlebnissen immer neu angeregt wurden. Zu diesen Träumen paßte ein gellender Schrei, der mich aus dem Bett riß und im Halbschlaf losrasen ließ. Béla! sagte mein Mutterinstinkt.
Der Schrei kam aus dem Bad. Ich war in Rekordzeit dort, schneller als in der Schule beim Hundertmeterlauf. Mit gewaltigem Schwung schlug ich neben Cora auf die gecremten Fliesen, die einer Eisbahn glichen, und schrie nun meinerseits vor Schmerz und Entsetzen.
Emilia mit Béla auf dem Arm und Jonas in der Unterhose versammelten sich und verstanden nichts. Wir wurden ins Krankenhaus gefahren, nachdem wir bereits im Badezimmer von einem Sanitäter schmerzstillende Spritzen verabreicht bekommen hatten. Nach dem Röntgen stellte man fest, daß Cora ein Bein und ich einen Arm gebrochen hatten.
Im Krankenzimmer lagen wir Bett an Bett und stöhnten uns an. Emilia besuchte uns täglich. Jonas nahm Béla zu sich nach Hause, damit seine Mutter endlich ihr Enkelkind kennenlernen konnte. Er versprach unter Tränen, daß er Béla in vierzehn Tagen zurückbrächte. Außerdem verlangte ich meine seladongrüne Schale, und auch diese wollte er beschaffen.
»Heute muß ich euch etwas sagen«, teilte uns Emilia bei einem Besuch mit, »wenn ihr demnächst gesund seid, werde ich euch verlassen.«
»Wie meinst du das?« fragten wir wie aus einem Munde.
»Ich werde mit Mario zusammenziehen.«
Wir waren verblüfft. »Emilia, du möchtest heiraten! Herzlichen Glückwunsch!«
»Kinder, ihr seid aber altmodisch, man muß nicht gleich heiraten, um zusammenzuleben!«
Da hat sie allerdings recht, dachte ich.
Cora fragte: »Hätte Mario Lust, in unsere rosa Villa zu ziehen?«
Emilia bezweifelte das. »Ich glaube nicht, daß er mit drei Frauen unter einem Dach leben will...«
»Du vergißt Béla und Pippo«, sagte ich. Emilia bat um Bedenkzeit.
Als sie weg war, malte ich ein Herz auf Coras Gipsbein und schrieb ein wenig plump mit der linken Hand: MARIO + EMILIA ins Zentrum.
Cora zeichnete einen zierlichen Amor daneben.
Am nächsten Tag erfuhren wir Emilias Bedingungen. »Die Mansarde soll ausgebaut und vergrößert werden. Außerdem müßt ihr mir versprechen, daß ihr nie mehr mit ein und demselben Mann ...« Sie errötete.
Wir lachten und versprachen es. Es war ehrlich gemeint.
Perlmutt
Cora und ich haben schon vielen Menschen die Frage nach der Lieblingsfarbe gestellt. Inzwischen wissen wir, daß Männer solchen Gesprächen im allgemeinen aus dem Wege gehen und uns für dumme kleine Mädchen halten; Jonas ist ein gutes Beispiel dafür. Auch Friedrich will sich nicht auf eine Farbe festlegen und meint, er hätte wichtigere Dinge im Kopf. Von Coras Mutter weiß ich schon lange, daß sie Persischrosa bevorzugt, der Professor sagte zu meinem Schrecken: »Seladongrün«. Mario deutete auf seine braune Hose, eine erdige, phantasielose Farbe. Cora schwankt zwischen Eisvogelblau und Smaragd. Emilia liebt ein warmes Rot, das sie als »mütterliche« Farbe empfindet. Meine eigene Lieblingsfarbe ist Perlmutt. Emilia ist damit nicht einverstanden: »Das gilt nicht«, sagt sie, »das ist keine Farbe.«
Doch, versichere ich, alle Farben sind in Perlmutt enthalten, die ganze Skala des Regenbogens. Ich besitze Perlmuscheln und Seeschnecken, deren Innenschicht mit geheimnisvollem Schmelz überzogen ist, irisierend in allen Farben, silbrig-rosa wie Falterflügel oder Gewitterwolken. Meine liebste Muschel habe ich nicht am Strand gefunden, sondern in einem Souvenirlädchen. Sie stammt nicht aus dem Mittelmeer, sondern aus der Südsee. Manchmal meditiere ich vor dieser Muschel, denn sie erscheint mir als Inbegriff aller Lebensrätsel. Die Liebesgöttin Venus wird von vielen Malern mit Perlen geschmückt, weil sie aus einer Meermuschel entstanden ist. Auch das menschliche Ohr gleicht einer Muschel und wäre schöner, wenn es die Natur ebenfalls mit perlmutternem Glanz ausgekleidet hätte. Die Muslime verzieren die Grabsäulen der Männer mit Turbanen, die der Frauen mit Muscheln.
Cora lacht spöttisch, wenn sie vor meiner Sammlung steht.
Mario hat mir ein Regal gebaut. Aus irgendwelchen dunklen Kanälen brachte er mir 12 Miniatursäulen, die ziemlich sicher von der Balustrade einer herrschaftlichen Villa stammen. Ruggero, der sich inzwischen immer wieder sehen läßt, um Cora seine neueste Freundin vorzuführen, hat mir Glasplatten zugeschnitten, die auf den flach abschließenden
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