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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Ängsten gefangenen Gemüter, die sich eignen, echtes Glück zu erfahren.
    Ist das Glück darum bösartig zu nennen? Hinterlistig? Ivo hätte geantwortet: Na, das kann man wohl sagen!
    Doch wäre er nochmals vor der Wahl gestanden, diesmal wissend … keine Frage, er hätte sich erneut in die Katastrophe begeben und dankbar sein Schicksal angenommen.
    Das Glück ist verrückt nach solchen Leuten wie Ivo. Solche Leute sind Leckerbissen für das Glück. Das Glück frißt sie mit Haut und Haar und spuckt nachher ein paar Knochen aus.
    Und genau so, mußte man sich vorstellen, sah dieser Mann aus: ein paar ausgespuckte Knochen. Nicht, daß er unattraktiv gewesen wäre, aber es waren eben allein Knochen, aus denen sein attraktives Äußeres sich zusammensetzte. An ihm klebte das durch das Glück geborene Unglück und verlieh ihm eine Aura. Die Frauen sagten gerne: Er hat so traurige Augen. Diese traurigen Augen waren geradezu eine Eintrittskarte in die Herzen vieler Frauen. Sie wollten von diesem Mann verstanden werden. Nicht, daß das seine Spezialität war, diese Verstehensschiene. Aber die Frauen glaubten es, weil sie den Schatten in seinen Augen so mochten.
    Als er Lilli Steinbeck das erste Mal begegnete, war er gerade blind. Oder wenigstens fast blind. Damals in Rom, Ende der Achtziger. Ein Jahr zuvor hatte sich Ivo auf einer Pakistanreise eine unspezifische Krankheit zugezogen und war daraufhin mehrere Monate Patient gewesen. Am Ende dieser Leidenszeit, als die Fieberschübe, die massiven Ausschläge, der Druck auf die Lunge, ja sich die Lebensgefahr gelegt hatten, war gleich einem erstaunlichen Nachwort – als wollte das Nachwort die eigentliche Geschichte übertreffen – etwas eingetreten, das die Mediziner als idiopathischen Blepharospasmus bezeichnen, eine Form des Lidkrampfs, deren Ursache allgemein als uneindeutig gilt. Zwar bot sich in Ivos Fall aufgrund der Virusgeschichte ein Infektionsherd als Auslöser an, aber der behandelnde Arzt meinte, er würde eher einen psychischen Hintergrund vermuten, eine posttraumatische Erscheinung. Eine Reaktion auf das Kranksein an sich, die Todesnähe, die Ivo seiner pakistanischen »Eroberung« verdankt habe.
    Es war nicht so, daß er die ganze Zeit die Augen geschlossen hatte. Gemäß dem gängigen Krankheitsbild besserte sich der Zustand während der Nachtzeit. Allerdings wurde Ivo gegen Abend hin ungemein müde, müde vom Tage, von der vormittäglichen Blinzelei und dem nachmittäglichen völligen Augenverschluß, und anstatt also die Besserung zu genießen, schlief er immer sehr rasch ein, um sich dann während des Schlafs Angstträumen vom dauerhaften Erblinden hinzugeben. Nur beim Frühstück, da ging es gut. Doch spätestens gegen die frühe Mittagszeit hin wiederholte sich das Drama. Er war ab dann gezwungen, sein verkrampftes Antlitz hinter der größtmöglichen Sonnenbrille zu verbergen. Außerdem benötigte er Hilfe, da er vermeiden wollte, gleich einem perkussiven Wünschelrutengeher mit einem Stock herumzulaufen und die Häuserwände und Gehwege abzuklopfen. Er war ja nicht wirklich blind, sondern nur unfähig, seine Lider zu öffnen. Zudem hatte ihm der Arzt versichert, die Sache würde sich wieder geben, denn eine erbliche Vorbelastung, wie sie oft bestehe, sei in seinem Fall auszuschließen. – Freilich fragte sich Ivo, wie der Arzt da so sicher sein konnte, wo doch er selbst, Ivo, nicht mal über seine Urgroßmutter Bescheid wußte. Andererseits wollte er dem Fachmann gerne glauben. Zudem existierte eine Therapieform, nämlich die Behandlung mit Botulinumtoxin – richtig, das Zeug gegen die Falten! –, die als äußerst vielversprechend galt. Nur wollte man damit noch warten, bis die anderen Folgen des pakistanischen Virus vollständig ausgeheilt waren. Es war ein Krieg an vielen Fronten.
    Um nun also ohne Stock oder Hund oder dank einer mühsam eingeübten Schrittfolge durch die Stadt zu gelangen, wechselten sich ein paar gute Freundinnen ab, die Ivo an den Arm nahmen und ihm halfen, sich dort hinzubegeben, wo er sich hinbegeben wollte. Im Grunde besaß er bereits damals – obgleich noch jung, nämlich zweiundzwanzigjährig, obgleich noch kein einziges Mal gestorben – diesen Charme trauriger Augen. Die meisten Frauen verfügen diesbezüglich über

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