1667 - Gefangene der Pharaonen
Ihr Herz klopfte stärker als gewöhnlich. Unter dem leichten Mantel schwitzte sie. Die Arme hingen herab, und die Hände waren zu Fäusten geballt. Es traf sie nicht jeden Abend, wenn sie am Eingang der Gasse stand. Heute war es wieder so weit. Nur gab es keinen Umweg bis zu ihrer kleinen Wohnung, die sie sich mit Ach und Krach leisten konnte, denn am Theater verdiente man nicht viel, obwohl das neue Musical jeden Abend ausverkauft war.
Eine Geschichte aus dem alten Ägypten mit einem verrückten Titel, der so gar nicht zu einem Musical passte.
GEFANGENE DER PHARAONEN.
Fast hätte sie gelacht, aber danach war ihr nicht zumute. Es war nur ein kurzer Gedanke gewesen, der sie an ihren Arbeitsplatz erinnert hatte.
Als Cleo über ihre Lippen leckte, spürte sie den salzigen Geschmack auf der Zunge. Noch immer focht sie den inneren Kampf aus, doch sie wusste auch, dass ihr letztendlich nichts anderes übrig blieb, als den Weg zu gehen. Sie schaute sich um, nachdem sie sich umgedreht hatte. Eine winzige Hoffnung hatte sie noch gehabt. Vielleicht gab es ja einen anderen Menschen, der kam, um den gleichen Weg zu nehmen. Sie lebte schließlich nicht allein in dieser Gegend. Doch da war niemand. Sie sah die Querstraße und die Autos, die an ihr vorbeihuschten. Niemand wollte in die Gasse.
»Okay!«, flüsterte sie. »Ich werde gehen. Ich muss es ja tun. Davon kann mich niemand abhalten. Ich ziehe es durch. Ich bin stark…«
Das letzte Wort hatte sie kaum ausgesprochen, da setzte sie ihr rechtes Bein vor. Der Untergrund war uneben.
Manche Stellen waren mit einer alten Teerschicht bedeckt, an anderen gab es im Pflaster breite Spalten, die Stolperfallen bildeten.
Nicht für Cleo. Sie kannte sich aus und hob den Fuß immer dann, wenn es nötig war. So ging sie Schritt für Schritt in die Gasse hinein - und es geschah nichts. Es war alles normal. Sie spürte den schwachen Wind in ihrem Gesicht, sie nahm den Geruch der Steine wahr, sie sah den Abfall an den Seiten liegen und die hohen Wände rechts und links.
Alles okay, bis zu einem bestimmten Punkt. Da hatte sie die Hälfte der Strecke bereits hinter sich, und sie stoppte, als wäre sie gegen ein Hindernis gelaufen. Da gab es nichts.
Und doch war es vorhanden.
Plötzlich steckte es in ihrem Kopf. Da waren auf einmal die Stimmen zu hören, obwohl sie keinen Menschen sah, der sich in ihrer Nähe aufhielt. Ein Flüstern, ein Raunen, ein Zischeln und hin und wieder ein leises und böse klingendes Lachen.
Ihr Gesicht verzerrte sich. Was sich da in ihrem Kopf abspielte, empfand sie als unnormal, denn es war niemand zu sehen, der diese Laute von sich gegeben hätte. Das war für sie furchtbar. Die Stimmen kamen aus dem Unsichtbaren und sie drangen von allen Seiten auf sie ein.
Cleo drehte sich auf der Stelle. Ihre Blicke glitten über die Mauern, dann gingen sie in die Höhe, weil sie dort etwas zu entdecken hoffte.
Es war nichts zu sehen, die Stimmen blieben. Sie waren wie leise akustische Peitschen, die Cleo vorantrieben und ihr zugleich eine tiefe Angst einjagten. Sie merkte kaum, dass sie sich wieder vorwärts bewegte. Sie wollte die Gasse so schnell wie möglich hinter sich lassen und in ihre Wohnung laufen. Sich dort einschließen, nichts hören und nichts sehen.
Cleo war nicht mehr sie selbst. Sie ging weiter, ohne es zu merken. Aus ihrem Mund drangen Jammerlaute, vermischt mit zischenden Atemgeräuschen. Dass sie das Ende der Gasse erreicht hatte und den Innenhof jetzt vor sich liegen sah, bekam sie kaum mit. Erst als das Licht einer alten Wandleuchte ihr Gesicht streifte, da hatte die Normalität sie wieder. Es waren keine Stimmen mehr zu hören. Die Geräusche, die sie jetzt vernahm, stammten von ihr, doch das wurde ihr erst Sekunden später klar.
Cleo blieb auf der Stelle stehen. Sie atmete heftig, spürte den Druck in der Brust, und erst nach und nach wurde ihr klar, dass sie die Gasse hinter sich gelassen hatte, ohne dass ihr körperlich etwas zugestoßen war.
Ihr Blick glitt zurück.
Eine leere Gasset Jedenfalls war in der Dunkelheit keine Bewegung zu sehen. Sie hörte keine Stimmen, sie sah keine Verfolger, nur der leichte Druck in ihrem Kopf war geblieben.
Bis zu dem Haus, in dem sie wohnte, waren es nur ein paar Meter. Noch ging sie nicht. Sie wollte sich erst erholen. Wie eine Schattengestalt stand sie auf dem Hof. Es war schon recht spät und hinter den wenigen Fenstern brannte Licht. Der letzte Blick in die Gasse. Sie war leer. Kein Mensch hielt
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