Die Hand im Moor (German Edition)
von heut auf morgen Christina im Stich gelassen hatte. Wäre er in Dandorf geblieben, ihre Freundin hätte sich ganz sicher den Wünschen ihrer Eltern widersetzt und wäre niemals bereit gewesen, Volker zu heiraten. Dann hätte sie vielleicht doch eine Chance gehabt, Volker zu erobern.
"Ich habe vorhin mit dem Gerichtsmediziner gesprochen. Der Tote, zu dem die Hand gehörte, muß schon mindestens hundert Jahre im Moor begraben liegen." Nachdenklich blickte Volker von Quant in die Ferne. "Die Hand wurde ins Gerichtsmedizinische Institut nach Eutin gebracht. Ich bin gespannt, was bei der Untersuchung herauskommen wird."
"Wer von uns ist das nicht?" Christinas Freundin lachte leise auf. "Vielleicht wird ein jahrhundertealtes, düsteres Familieng eheimnis aufgedeckt."
"Nun ich nehme an, die Gerüchteküche wird ohnehin schon brodeln. Abergläubische Seelen - und in unserer Gegend gibt es mehr als genug davon -, werden behaupten, es würde es sich um einen Fingerzeig Gottes handeln."
"Paß auf, spätestens übermorgen wird man die ersten Geister gesehen haben", scherzte Karin. Sie griff nach ihrer Handtasche, die noch immer im Wagen lag. "Wenn Jürgen wenigstens ein paar Zeilen hinterlassen hätte. Ich kann einfach nicht begreifen, warum er so ohne jedes Wort gegangen ist. Nicht einmal seinen Wagen hat er mitgenommen, nur ein paar seiner Sachen."
"Mir ist es genauso ein Rätsel", gestand der Verwalter. Er fühlte das Verlangen, das Gesicht der jungen Frau zu berühren, über ihre dunklen Haare zu streichen. Es fiel ihm schwer, diesem Verlangen zu widerstehen. Auch Karin glaubte, daß er Christina nur wegen ihres Besitzes heiraten wollte, doch das stimmte nicht. Abgesehen davon, daß er Christina schätzte und sich für sie ve rantwortlich fühlte, hatte er ihren Eltern viel zu verdanken. Sie erwarteten von ihm, eines Tages den Besitz zu übernehmen. Ihr eigener Sohn war mit fünf Jahren an Leukämie gestorben. Er durfte sie nicht enttäuschen.
"Christina glaubt, daß Jürgen tot ist", sagte Karin, während sie das Haus betraten. Sie beugte sich zu Harro hinunter, der ihr schwanzwedelnd entgegen gelaufen war. "Was bist du für ein schöner, braver Hund", lobte sie und tätschelte seinen Rücken.
"Hund müßte man sein", bemerkte Volker.
Karin richtete sich auf. "So phantastisch stelle ich mir das gar nicht vor", erwiderte sie. "Aber um auf Jürgen zurückzukommen, was glaubst du?"
"Ich bin überzeugt, daß Jürgen ins Ausland gegangen ist. Aus irgendeinem Grund wollte er alle Brücken hinter sich abbrechen." Volker hob die Schultern. "Bei Jürgen wußte man nie recht, woran man war. Wie oft hat er blitzschnelle Entscheidungen getroffen."
"Mag sein." Karin nickte. "Nun gut, ich schaue mal nach Chr istina. Vielleicht braucht sie mich."
"Falls Christina noch schläft, wir könnten auf der Terrasse eine Tasse Kaffee trinken", schlug Volker vor. "Dieter hat uns übrigens heute vormittag einen kurzen Besuch abgestattet. Die Sache hat ihn genauso aufgewühlt wie uns. Er war fix und fertig."
"Ich habe Dieter seit Ostern nicht mehr gesehen." Karin wandte sich der Treppe zu, drehte sich jedoch noch einmal um. "Kommt er zu eurer Verlobungsfeier?"
"Es ist anzunehmen. Er sprach jedenfalls davon", erwiderte Volker von Quant. "Bis gleich!" Er winkte er ihr zu und betrat den Salon.
Harro zauderte einen kurzen Augenblick, dann folgte er der jungen Frau die Treppe hinauf.
* * *
Kläffend jagte Harro einem der wilden Kaninchen nach, die hier zu Hunderten die Hügel bevölkerten. Christina ließ ihn gewähren, zumal sie ohnehin wußte, daß das Kaninchen schneller sein würde. Niedergeschlagen saß sie am Ufer des kleinen Baches, der sich durch die Felder schlängelte. Als Kinder hatten sie hier oft gespielt. Wehmütig dachte sie an die längst vergangenen Sommertage. Wie herrlich war ihr damals das Leben erschienen.
Sie strich sich ihre blonden Haare zurück. Keine vierundzwa nzig Stunden mehr und sie würde sich mit Volker verloben. Konnte sie es wirklich wagen, sich an einen Mann zu binden, den sie zwar schätzte aber nicht liebte? Volker war immer da, wenn sie ihn brauchte. Bisher hatte er sie noch nie im Stich gelassen. Er stand aufrecht war ein Fels in der Brandung. Doch reichte das für eine Ehe?
Tief atmete die junge Frau durch. Noch vor drei Jahren wäre es ihr nie in den Sinn gekommen, jemals Volker zu heiraten. Damals hatte sie sich nichts Schöneres vorstellen können, als eines Tages an Jürgens Seite zu leben.
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