Die Hand im Moor (German Edition)
Er war ihr wie der strahlende Held eines romantischen Märchens erschienen. Wie oft hatten sie hier sehr gesessen und Stunden damit verbracht, von der Zukunft zu trä umen.
Ob ich ihn heute noch genauso lieben würde?
Christina schrak heftig zusammen. Wie konnte sie sich so etwas fragen? Warum hätte sich in den vergangenen drei Jahren etwas an ihrer Liebe ändern sollen? Sie griff nach dem Anhänger, den ihr Jürgen geschenkt hatte, und umfaßte ihn so heftig, daß der Schlüssel sich tief in ihre Haut eingrub.
Hinter ihr erklangen Schritte. Erschrocken drehte sie sich um. "Ach, du bist es, Volker", sagte sie und zwang sich zu einem L ächeln. "Hörst du Harro? Er versucht wieder einmal vergeblich, ein Kaninchen zu fangen."
"Er kommt eben in die Jahre", meinte der Verwalter lachend und ließ sich neben die junge Frau ins Gras fallen. "Traurig?" Er b erührte leicht ihre Schulter.
Christina nickte. "Mir geht soviel durch den Kopf", gestand sie. "Außerdem muß ich immer wieder an diese Hand denken. Ist es nicht seltsam, daß sie ausgerechnet jetzt au fgetaucht ist?"
"Du meinst, so kurz vor unserer Verlobung?"
Christina nickte. "Es erscheint mir wie ein schlechtes Omen." Sie sah ihn an. "Lach mich bitte nicht aus. Du weißt, daß ich an und für sich nicht abergläubisch bin."
"Ich bin weit davon entfernt, dich auszulachen." Volker von Quant setzte sich bequemer hin. "Wie inzwischen feststeht, ist der Mann, zu dem die Hand gehörte, schon seit über tausend Jahren tot", sagte er. "Daß die Hand ausgerechnet so kurz vor unserer Verlobung auftauchen mußte, ist nicht mehr als ein dummer Z ufall. Hin und wieder gibt das Moor nach Jahrzehnten oder Jahrhunderten seine Geheimnisse preis."
Der junge Mann blickte über den Bach hinweg zu den nahen Hügeln. "Spätestens Ende nächster Woche wird es mit dem Fri eden bei uns vorbei sein. Dein Vater hat verschiedene Anfragen von Altertumsforschern erhalten, die gerne im Moor nach weiteren Teilen des Toten graben würden. Er hat sich noch nicht entschieden, aber wie ich ihn kenne, wird er sein Einverständnis geben."
"Es ist zu erwarten", erwiderte die Baronesse. "Wer weiß, was man noch alles im Moor finden wird. Vielleicht sind die Inform ationen, die man dort gewinnt, genauso interessant wie seinerzeit in den Hügelgräbern."
"Ich hätte damals gerne den Archäologen geholfen", gestand Volker. "Wie habe ich diese Männer um ihren Beruf beneidet. Erinnerst du dich, daß ich einige Zeit fest entschlossen war, ebe nfalls Archäologe zu werden?"
Christina nickte. Sie selbst hatte um die Hügelgräber stets e inen großen Bogen gemacht, aber Volker war von ihnen regelrecht fasziniert gewesen. "Warum hast du diesen Traum aufgegeben?" fragte sie. "Aus Dankbarkeit meinen Eltern gegenüber?"
"Nicht nur", erwiderte der Verwalter. Er zupfte gedankenverl oren einige Grashalme aus. "Ich wäre kein sehr guter Archäologe geworden, während ich als Agrarwirt wirklich einiges zu leisten vermag. Außerdem wußte ich natürlich, was deine Eltern von mir erwarteten."
"Mein Vater meinte neulich, Gut Freyhof hätte niemals einen besseren Verwalter gehabt." Christina wandte ihm das Gesicht zu. "Ich habe dich sehr gerne, Volker, aber ich liebe dich nicht." Sie umarmte Harro, der die Kaninchenjagd aufgegeben hatte und nun neben ihr lag. "Wäre Jürgen noch hier, ich hätte niemals unserer Verlobung zugestimmt."
"Ich bin ein Mann, der mit beiden Beinen fest im Leben steht. Ich habe mir in dieser Beziehung nie etwas vorgemacht." Volker griff nach einem Steinchen und warf es ins Wasser. "Woher willst du wissen, ob Jürgen wirklich der richtige Mann für dich gewesen wäre?" fragte er. "Menschen verändern sich im Laufe der Jahre. Vielleicht hättet ihr längst nichts mehr von einander wissen wollen. Jürgen hat vor drei Jahren einen klaren Schlußstrich gezogen, als er..."
"Hast du dich niemals gefragt, warum er nicht einmal dir oder Dieter etwas von seinem Fortgehen gesagt hat? Ihr drei seid die besten Freunde gewesen, die man sich denken kann." Die junge Frau strich sich über die Augen. "Ich fand es wundervoll, daß du Jürgens Freund geblieben bist, obwohl ich mich eindeutig für ihn entschieden hatte."
"Ich konnte nicht jedem Mann, der um deine Gunst warb, ewige Feindschaft schwören", meinte Volker lachend. "Der einzige, der gegen deinen Charme immun zu sein scheint, ist Dieter. Wenn Jürgen und ich deinetwegen in Streit gerieten, war er es gewöhnlich, der uns wieder zur Vernunft
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