Die Hebamme von Venedig
und küsste ihn vor allen Leuten auf dem Platz. Sie drückte ihren Körper an seinen, und die Wärme in ihr hatte nichts mit der Sonne zu tun, die auf sie beide herabschien. Sie fühlte seine Hände, die einmal so weich und glatt gewesen und jetzt voller Schwielen waren. Hannah strich ihm über die Rippen.
»Wie ein Waschbrett. Ich werde dafür sorgen müssen, dass du wieder etwas Fleisch auf die Knochen bekommst.«
»Und du?«, sagte er. »Wohlgenährt bist auch du nicht gerade.«
Die beiden hielten Matteo zwischen ihren Körpern an sich gedrückt, so fest, dass der Kleine zu protestieren begann. Sie rückten wieder auseinander, aber nur ein wenig. Ihre Hände blieben verschränkt, und zu dritt bildeten sie ein enges Ganzes.
Eine Nachbemerkung
D ie Idee, Hannahs Geschichte zu erzählen, kam mir bei einem Spaziergang durch Venedig, den ich mit einem Caffè corretto und ein paar Hamantaschen im Ghetto Nuovo in Cannaregio beendete. Es faszinierte mich, wie sehr diese kleine Insel einem Filmset glich, der offene Campo mit dem Brunnen und den schmalen Gebäuden, die ihn auf drei Seiten umgaben.
Im 16. Jahrhundert kamen mehr und mehr Juden aus Nordeuropa, aus Spanien und Portugal hierher, und die sowieso schon kleinen Wohnungen wurden immer noch kleiner, indem man sie weiter unterteilte, ganz so, wie man einen Kuchen in kleinere und kleinere Stücke schneidet, wenn unerwartet neue Gäste kommen. Einzelne Stockwerke wurden hinzugefügt, und am Ende erlaubte die Stadtregierung den Juden, sich auf zwei zusätzlichen Inseln niederzulassen, im Ghetto Vecchio und im Ghetto Novissimo.
Ich versuchte mir vorzustellen, wie das tägliche Leben hier ausgesehen haben mochte, mit großen, kinderreichen Familien unter stark beengten Bedingungen. Das brachte mich auf die Hebammen, auf Geburtslöffel und die Frage danach, wie solche Hilfsmittel damals wohl aufgenommen wurden – womit der Boden für Die Hebamme von Venedig bereitet war.
Gab es eine solche Frau? Der Gedanke gefällt mir, auch wenn ich bei meinen Recherchen auf niemanden dergleichen gestoßen bin. Was zweifellos daran liegt, dass die Erfahrungen der Frauen, ihre Kraft und ihre Leistungen keinen Eingang in die Geschichtsschreibung gefunden haben.
Einige Worterklärungen
Arsenale (di Venezia) – Schiffswerft, Zeughaus und Flottenbasis der Republik Venedig
Bracha – Segen
Bucintoro – repräsentatives Staatsschiff der Dogen
Calle – Gasse, kleine Straße Venedigs
Campo – Platz
Caramusal – schweres türkisches Handelsschiff
Cassone – mittelalterliche Truhe
Castello – Stadtteil von Venedig
Challah – traditionelles Sabbat-Brot
Chemise – Hemd, Unterkleid
Cioppà – leichter Überwurf, mantelähnlicher Umhang
Cittadino – Bürger
Conte – Graf
Contessa – Gräfin
Cortigiana – Kurtisane
Dolmasi – gefüllte Weinblätter
Esecutori contro la Bestemmia – Verfolger der Blasphemie
Fegato – Kalbsleber
Felze – Dach auf einer Gondel, das vor Blicken schützt, kleine Kabine
Fondaco (Pl. Fondachi) – Warenlager
Fondamenta – Bezeichnung für die an den Kanälen gelegenen Gehwege in Venedig
Fórcola – Gabel für das Ruder einer Gondel
Galeone – großes Kriegs- oder Handelsschiff
Gesso – Gips
Get – Scheidungsdokument für jüdische Ehen
Hamantaschen – süßes Gebäck
Hanimefendi – Herrin, meine Dame
Hora – ursprünglich vom Balkan stammender Tanz zur Klezmer-Musik
Jarmulke – Samtkäppchen
Katechumene – Taufbewerber, Person, die zum Christentum übertreten möchte
Kiddusch – Segen
Kigel, Kugel – Nudelpudding
Koschenille – aus der Koschenille-Schildlaus gewonnener roter Farbstoff
Levatrice – Hebamme
Loghetto – Wohnraum
Lokum – türkische Süßigkeit
Marangona – Name der ältesten Glocke im Campanile (Turm) von San Marco
Matze – dünnes jüdischen Fladenbrot
Maschallah – »Wie Gott will«
Menora – siebenarmiger Leuchter
Mercato – Markt
Mesusa – Schriftbehälter am rechten Türpfosten mit Texten
Midrasch – Auslegung der Bibel, hier: Bibelschule
Mikwe – rituelles jüdisches Tauchbad
Mizwa – eine gute, gottgefällige Tat (bzw. das Gebot dazu)
Niddah – Frau während bzw. vor dem rituellen Reinigungsbad der Menstruation
Padiglione – Himmelbett, Baldachin
Parrocchia – Kirchengemeinde
Peies – die langen Schläfenlocken orthodoxer Juden
Pelisse – Kleid, Umhang, Robe
Pessach – wichtiges jüdisches Fest in Erinnerung an den Auszug aus Ägypten
Piroge –
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