Die Hebamme von Venedig
vergangen waren und Hannah schon alle Hoffnung aufgeben wollte, je wieder Land unter die Füße zu bekommen, hörte sie vom Krähennest her plötzlich die erlösenden »Land in Sicht!«-Rufe. Sie holte Matteo aus seiner Hängematte und stieg zu den anderen Passagieren an Deck. Mit dem Baby auf dem Arm, drängte sie sich zur Reling vor. Alle wollten einen Blick auf den Hafen von Valletta erhaschen. Sie dachte an Isaak, während die Insel vor ihnen aus dem Meer wuchs, und als die Küste Maltas schließlich in den Blick kam, wirkte sie öde und verlassen, so ohne jede Anmut und Schönheit wie ein abgetragenes, haarloses Stück Tierhaut. Die Balbiana sollte ein paar Tage in Valletta Halt machen, um frische Vorräte aufzunehmen, und Hannah würde an Land gehen, um Isaak zu finden.
Tarsi, deren Schleier in der frischen Brise flatterte, kam zu Hannah an die Reling und legte einen Arm um sie. Die Gute hatte während der gesamten Reise keine Mahlzeit ausgelassen und war noch fülliger geworden von Lokum und Dolmasi.
»Ich bin doch ein gutes Kamel«, flüsterte sie Hannah ins Ohr, »und du bist eine wunderbare Hebamme. Ich genieße die Freuden des Ehebetts, und doch bekomme ich meinen monatlichen Zyklus.« Sie drückte Hannah an sich. »Seit der Zeit von Beyazid II«, sagte Tarsi, »haben sich die Osmanen mit den Juden gut verstanden. Ahmet ist ein Vertrauter und Berater des Sultans. Wenn du mit mir nach Konstantinopel kommst, sorge ich dafür, dass du eine Stelle als Hebamme im Harem des Sultans erhälst. Aber vergiss alle Kiesel: Der Sultan erntet gerne, was er sät.«
»Wir können über meine Pläne sprechen, wenn ich heute Abend zurück aufs Schiff komme.« Ich muss wissen, ob ich noch einen Ehemann habe, dachte Hannah, bevor ich über meine Zukunft nachdenke.
Tarsi sah Matteo an. »Lass ihn bei mir, während du Isaak suchst.«
Hannah schüttelte den Kopf. Wenn Isaak noch lebte, musste er Matteo sehen. Sie musste wissen, wie er auf das Kind reagierte, das ihr vom Schicksal in die Arme gegeben worden war. Und wenn sie sich zwischen Isaak und Matteo entscheiden musste? Darüber wollte sie nicht nachdenken. Falls sie ohne Isaak zurückkam, würde sie Tarsi sagen, ihr Mann sei tot, ganz gleich, wie es sich wirklich verhielt. Gott, vergib mir, dachte Hannah, aber ich wäre lieber eine Witwe, als zu wissen, dass Isaak mich nicht mehr liebt.
Ein dünner Schweißfilm bildete sich auf Hannahs Oberlippe. Tarsi wischte ihr mit einem Tuch über das Gesicht.
»Ich wünsche dir das Beste. Es war eine schreckliche Reise für dich, und du hast sie tapfer ertragen.«
»Mein Sohn hätte sie ohne deine Hilfe nicht überlebt. Dafür werde ich dir ewig dankbar sein«, sagte Hannah.
Zwei Seeleute ließen den Anker mit einem Ächzen der Kette ins Wasser hinab. Die Balbiana trieb leewärts, bis der Anker den Grund erreichte. Die Kette spannte sich, das Schiff ruckte, drehte sich und kam zur Ruhe. Ein paar gelenkige Jungen kletterten in die Takelage und refften die Segel am Haupt- und Besanmast.
Hannah legte eine Hand an die Augen und ließ den Blick über die anderen Schiffe im Hafen gleiten. Die Masten eines Schiffes aus der Levante bewegten sich vor der Sonne hin und her und ließen ihre Schatten über sie streichen. Die meisten Schiffe hier waren nicht so elegant wie die Balbiana , sondern plumpe Frachtschiffe, Dreimaster mit zwei Decks und reichlich Raum für Ladung und Passagiere.
Ein Boot wurde längsseits der Balbiana zu Wasser gelassen, um die Passagiere an Land zu bringen. Hannah drängte sich nach vorn, reichte Matteo und ihre Tasche einem Schiffsjungen und kletterte mit ihm die Strickleiter hinunter, die gegen den Rumpf des Schiffes schlug. Unten nahm sie Matteo und ihre Tasche wieder in Empfang und setzte sich neben einen Seemann, der noch so jung war, dass er nur Flaum auf Wangen und Kinn hatte, und durch ein Fernglas die anderen Schiffe studierte.
Das Boot schnitt durchs Wasser. Die Ruderer schienen genauso darauf aus zu sein, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen, wie die Passagiere. Minuten später stieß das Boot so fest an die Kaimauer, dass Hannah Matteo beinahe hätte fallen lassen. Alle stiegen aus, und die meisten gerieten in eine Art Freudentaumel. Einige ließen sich niedersinken, um die Erde zu küssen. Ein junger Malteser nahm die Leine des Bootes, machte sie fest und half Hannah beim Aussteigen.
Als sie ihn fragte, wo sie mit ihrer Suche nach einem Gefangenen namens Isaak Levi beginnen sollte,
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