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Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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Gesang des Muezzins, der zur sabah, dem Sonnenaufgangsgebet rief, wehte von den Türmen der Sophia zu ihr herüber. Feyra drehte sich um und lief eilig die Stufen hinunter.
    Sie war sehr spät dran.

2
    Auf der Straße war es kühl, die Sonne hatte die Schatten noch nicht vertrieben.
    Normalerweise wäre dies Feyras liebster Teil des Tages gewesen. Sie liebte es, ein wenig zu trödeln, die Waschfrauen zu grüßen, die mit ihren Körben voll Wäsche zur Bucht hinuntergingen, oder sich an den blauen und goldenen Karren, die an jeder Straßenecke zu stehen schienen, ein aus simit und salep, Hefegebäck und Wurzeltee, bestehendes Frühstück zu kaufen. Sie genoss es auch, mit ihren eigenen Münzen zu bezahlen, denn sie war eine selbstständige, berufstätige Frau. Heute musste sie ihren knurrenden Magen ignorieren und weitereilen.
    Als sie von Sultanahmet aus den Hügel zur Serail-Spitze erklomm, sah sie gelegentlich das Meer blau aufblitzen. Heute drehte sie sich nicht wie an jedem anderen Morgen um, um die Aussicht zu bewundern. Daher bemerkte sie auch die davonsegelnde genuesische Galeere nicht, die das kobaltblaue Wasser des Bosporus durchquerte, und die sie dank dem, was ihr Vater ihr beigebracht hatte, mühelos hätte identifizieren können.
    Feyra schritt, den Blick starr nach vorne gerichtet, die Mese-Straße zum Topkapi-Palast empor. Der auf der Serail-Landspitze gelegene Topkapi bot einen herrlichen Blick über das Goldene Horn, das Marmarameer und den Bosporus und bildete eine kleine Stadt für sich. Das Großherrliche Tor, der erste Zugang, den Besucher passieren mussten, war ein architektonisches Sinnbild für Macht und Bedeutung und ein Hinweis auf die dahinter verborgene Pracht. Zwischen den kegelförmigen Zwillingstürmen des Torhauses, unter der goldenen Inschrift auf dem Querbalken, die die Weisheit des verstorbenen Sultans pries (vom jetzigen, so hatte Feyra gehört, konnte von Weisheit so wenig die Rede sein, dass man sie bestimmt nicht in Gold in Stein meißeln musste), stand ein Wachposten, der eine Schriftrolle in der Hand hielt. Die erste von vielen Sicherheitsvorkehrungen innerhalb des Palastes.
    Sie kannte den Mann nicht und hatte dies auch gar nicht erwartet. Er war an diesem Morgen im Wachraum ausgelost worden, denn für den Sultan stand eine Truppe von dreihundertvierundfünfzig Wachposten bereit, einer für jeden Tag des Jahres des Hicri-Kalenders. Kein Mann durfte diesen Dienst zwei Mal im Jahr versehen, und keiner wusste, an welchem Tag er an der Reihe sein würde, damit er nicht bestochen oder gezwungen werden konnte, einen Eindringling einzulassen.
    »Name?«
    »Feyra Adalet bint Timurhan Murad.«
    »Und was tust du hier?«
    »Ich bin die Kira der Valide Sultan Nurbanu.« Sie holte tief Atem. »Und Haremsärztin.«
    Sie beobachtete ihn bei den letzten Worten scharf, und er reagierte genau so, wie sie es vorhergesehen hatte. Er hatte kaum von seinem Pergament aufgeblickt, als sie ihm gesagt hatte, dass sie eine Kira war, eine Mittlerin zwischen den Frauen des Harems und der Außenwelt. Manchmal verzog der Wächter des Tages den Mund oder hob eine Braue, wenn sie Nurbanu erwähnte, die Valide Sultan. Als Sultansmutter war sie die mächtigste Frau des Palastes, Konstantinopels und der osmanischen Welt. Aber alle Wächter ohne Ausnahme zeigten sich überrascht, wenn sie ihnen mitteilte, dass sie Ärztin war.
    Obwohl sie erst einundzwanzig Jahre zählte, verabreichte sie schon seit Jahren Arzneien und führte kleinere Operationen durch. Mit dreizehn hatte sie begonnen, die Heilmittel des Palastarztes vom Hauptteil des Palastes in den Harem zu bringen. Sie pflegte den Doktor in der Halle des Reinigungsbrunnens zu treffen, einem schönen Hof, der die Grenze zum Haremskomplex bildete. Weiter durfte kein Mann in diesen Bereich vordringen. In diesem Alter hatte ihre Aufgabe darin bestanden, aufmerksam seinen durch das mosaikgeschmückte Atrium hallenden Anweisungen zu lauschen, sie zusammen mit dem Echo wie ein Papagei zu wiederholen, sich zu verneigen und dann durch die Halle der Konkubinen in den eigentlichen Harem zu gehen.
    Als sie älter war, wurde Feyra ausgeschickt, um auf dem Großen Basar Kräuter und andere Ingredienzien für Arzneien einzukaufen. Dort wanderte sie durch die überfüllten Gassen, und beißende, süße und würzige Düfte stiegen ihr in die Nase, wenn sie die Fläschchen und Päckchen zum Palast zurücktrug. Sie begann, besser achtzugeben, und lernte die Wirksamkeit der

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