Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)
sich die Valide Sultan, die schließlich Witwe war, einen Liebhaber nahm. Aber Feyra hatte nie munkeln hören, dass ihre Herrin seit dem Tod ihres Gemahls Sultan Selim vor zwei Jahren bei einem Mann gelegen hatte. »Wen? Einen Mann?«
»Nein. Sie sagte, sie wollte mit der Dogaressa von Genua das Fasten brechen, bevor das genuesische Schiff mit der Morgenflut ausläuft.«
»Ist das Schiff ausgelaufen?«
»Vor ein paar Minuten.«
»Cecilia Baffo«, überlegte Feyra laut. »Der Name klingt fremdländisch. Könnte er genuesisch sein? Wie heißt die genuesische Dogaressa? Kann das jemand herausfinden?«
»Wie denn, Feyra?« Kelebek, sonst durchaus fähig und tüchtig, verwandelte sich in Krisensituationen immer wieder in das einfache Dorfmädchen, das sie einst gewesen war.
Feyra hatte mit ihrem unbeholfenen Gehabe plötzlich keine Geduld mehr. »Frag irgendjemanden«, fauchte sie. »Den Kislar Aga.«
Kelebeks Augen weiteten sich vor Furcht. Der Kislar Aga, Aufseher der Mädchen und Oberster der schwarzen Eunuchen, war der Stellvertreter des Sultans im Harem und verkörperte innerhalb dieser Mauern das Gesetz. Der momentane Kislar Aga Beyazid war ein Furcht einflößender Basilisk von einem Mann, sieben Fuß groß und mit ebenholzschwarzer Haut. Wenn ein Mädchen das Missfallen des Sultans erregte, vielleicht seine Vorlieben zu ungewöhnlich fand, wurde sie in einen Sack eingenäht, und Beyazid warf sie persönlich von der Brustwehr des Turms der Gerechtigkeit in den Bosporus. Die anderen Mädchen wurden gezwungen zuzusehen, wie der Sack vom Wasser durchtränkt wurde und unter die Oberfläche sank; den Schreien des Opfers zu lauschen und Zeugen der Folgen von Ungehorsam zu werden. Bei der Erwähnung des Namens des Kislar Agas wich Kelebek einen Schritt zurück. »Ich kann ihn nicht fragen, Feyra.«
Feyra seufzte gereizt. Sie fürchtete den Aga genauso wie Kelebek, aber noch mehr fürchtete sie das, was ihrer Herrin widerfahren könnte. Sie verließ den Raum und durchquerte den Hof der Konkubinen. Die Sonne stand jetzt hoch am Himmel, und als sie in den Hof der schwarzen Eunuchen einbog, waren die Schatten unter den Marmorsäulen tief und dunkel. Die Sonnenstrahlen fielen durch die schmiedeeisernen Lampen, die über ihr hingen, zersplitterten zu hellen Diamanten und blendeten sie. Als sie anklopfte und die Kammer des Kislar Aga betrat, konnte sie einen Moment lang überhaupt nichts sehen.
Langsam begannen sich Feyras Augen an das Dämmerlicht zu gewöhnen. Sie befand sich in einem langen Raum mit zwei in den Boden eingelassenen Marmorkanälen, durch die Wasser strömte. Das wenige Licht, das diese Bäche silbern schimmern ließ, kam von den in die steinerne Decke geschnittenen Sternen, durch die fahle Sonnenstrahlen fielen und wie aus Papier ausgeschnitten wirkende geometrische Figuren auf den Boden malten. Feyra trat zwischen den Strahlen hindurch. Sie hätte fast meinen können, allein im Raum zu sein. Beyazids Haut glich poliertem Ebenholz, was ihn fast mit dem Stuhl, auf dem er saß, verschmelzen ließ. Aber er rauchte eine Huka, von der kleine Wölkchen aufstiegen, während er sprach. Der Rauch waberte um seinen Kopf und wurde von den Sternenlichtstrahlen beleuchtet.
»Feyra, Timurhans Tocher? Was führt dich zu mir?«
Beyazid schien sie seinerseits ausgezeichnet sehen zu können. »O Kislar Aga, wie lautet der Name der genuesischen Dogaressa, die heute mit meiner Herrin Nurbanu das Fasten gebrochen hat?«
Jetzt konnte Feyra seine sogar in entspannter Haltung massige Gestalt ausmachen. Die Muskeln spielten unter den goldenen Bändern an seinen Oberarmen, als er die Huka zum Mund führte, das fahle Licht der Sterne in der Decke warf einen silbernen Schein über seinen kahlen Kopf. »Ihr Name ist Prospera Centurione Fattinanti.« Trotz seiner Statur klang seine Stimme so hoch und klar wie die eines Knaben, denn er war entmannt worden, bevor er das Erwachsenenalter erreicht hatte. Der seltsame Kontrast zwischen Stimme und äußerer Erscheinung ließ ihn nicht weniger bedrohlich wirken. Er stieß eine weitere Rauchwolke aus. »Ist das alles?«
»Ja, Kislar Aga.« Feyra wandte sich ab, dann drehte sie sich mit einem Mut, von dem sie nicht gewusst hatte, dass sie ihn besaß, noch einmal um. »Das heißt, nein. Wer ist Cecilia Baffo?«
Sie sah zwei weiße Halbmonde, als er wie in einem unfreiwilligen Reflex des Erkennens die Augen einen Spalt breit öffnete. Einen Moment lang stieg Furcht in ihr auf. Doch dann
Weitere Kostenlose Bücher