Die Heilerin
Häuser. Jemand klopfte, öffnete dann die Tür zu der kleinen Kammer. Die Wangen der jungen Mutter waren tiefrot, ihre Miene zeigte Besorgnis, aber Gretje hatte ein strahlendes Lächeln aufgesetzt.
»Johann, wie schön Euch zu sehen. Seid Ihr guter Gesundheit? Der Winter scheint ja früh einzukehren. Rebekka, wie geht es Euch? Wollt Ihr Euren Enkel halten? Ein hübscher Bub und ganz gesund. Eure Tochter hat die Geburt gut überstanden.« Gretje drückte der Frau den Säugling in den Arm. Verzückt beugte sich Rebekka Scheuten über das Kind, auch Johann Scheuten konnte sich dem Zauber nicht ganz entziehen, obwohl er immer noch ein finsteres Gesicht zog.
Gretje ließ ihm keine Zeit, sich zu äußern, scheinbar munter plauderte sie weiter. »Erst sah es nicht so gut aus um Eure Tochter. Sie hatte viel Blut verloren und war schon sehr geschwächt, als ich kam, dabei hatten die Wehen kaum eingesetzt. Aber wir haben es geschafft, das Kind kam munter zur Welt. Nur heute macht mir Eure Tochter Sorgen …«
Das Ehepaar Scheuten schaute auf, sie sahen zu Thilda, die immer noch stumm und gegen die Tränen kämpfend im Bett lag.
»Ja, ja«, fuhr Gretje fort. »Schlecht ging es ihr, ganz erschöpft war sie und entkräftet. Es war ja niemand da, um ihr zu helfen, sie einzuweisen in die ersten Dinge und den Umgang mit dem Kind. Das kenne ich gar nicht, außer aus dem Armenviertel, wo Waisen und andere Frauen ohne Familie Kinder bekommen. Aber bei uns Mennoniten? Da ist doch Herzlichkeit und Nächstenliebe oberste Christenpflicht. Eure Tochter hat Euch sehr vermisst, ihr Herz wurde darüber schwer. Noch ist die Milch nicht eingeschossen, und wir müssen uns ein wenig Sorgen machen.« Sie lächelte, und nur Margaretha wusste, dass das Lächeln ein schelmisches war.
»So ist das also, wir müssen uns Sorgen machen. Um sie, um Thilda? Oder um das Kind? Wo ist eigentlich der Vater, der Hundsfott, der elendige? Wo ist er, wenn es seiner Frau schlechtgeht? Hat er sie nicht zum Weibe genommen und geschworen, ihr allzeit zur Seite zu stehen? Wo ist er also? Will er uns nicht begrüßen? Nicht mit uns reden? Das ist doch das Debakel, er ist es, nicht wir.« Johann Scheuten polterte los, seine Stimme füllte den kleinen Raum, schien darin zu hallen. Margaretha zog erschocken den Kopf ein. Ihre Mutter jedoch erschien belustigt.
»Er war es doch«, fuhr Scheuten noch lauter fort, »der sich auf einmal gegen die Vereinbarungen gewandt hat, der sein Kind nun plötzlich getauft haben will, nach protestantischem Glauben und nicht nach unserer Überzeugung. Er wollte uns doch nicht mehr in seinem Haus und an der Seite unserer Tochter. Nicht wir sind die Üblen, er ist es.«
»Was sagt denn unser Glaube, Bruder Johann? Was wollte Menno Simons?«, fragte Gretje sanft und leise.
»Das fragt Ihr mich? Ihr, die Ihr seit Jahren und schon immer in der Gemeinde seid? Wisst Ihr das etwa nicht?«, fuhr Scheuten die Hebamme an.
»Natürlich weiß ich das. Aber wisst Ihr es denn auch? Was ist das Jenseits? Es ist unwichtig für uns. Das Leben hier und jetzt ist wichtig. Ein Leben zu führen im Namen Christi, schlicht und dankend, glaubend an Gott und ihm dienend. Wir leben gottesfürchtig. Aber die Tochter in der Stunde der Not alleine zu lassen, ist das gottesfürchtig? Oder eitel? Kommt es Euch tatsächlich auf die paar Tropfen Wasser an? Wenn dieses Kind getauft, Peter van Holten glücklich gemacht und Eurer Tochter Schmerz und Pein erspart wird, ist das nicht viel eher gottesfürchtig?« Nun schlugen Gretjes Worte zu wie Peitschenhiebe. Johann Scheuten zuckte zusammen. Er verharrte für einen Moment mit gesenktem Kopf, schaute dann zu dem Bett, in dem seine Tochter lag.
»Dochtertje, minn Hartje. Geht es dir gut? Ja, wirklich?« Er ging zu ihr, nahm sie in den Arm, seine Schultern zuckten, er schluchzte auf. »Mevrouw op den Graeff hat recht.« Er setzte sich auf den Bettrand, winkte seine Frau zu sich. »Komm her, Bekka, komm zu unserer Tochter. Gib mir meinen Enkelsohn. Er ist so schön, so schön wie du. Ich Sturkopp, ich alter Sturkopf, ich will doch nur das Beste für euch.«
Gretje lächelte und packte still ihre Sachen in den Korb. In diesem Moment schwang die Tür auf. Peter van Holten betrat unsicher das Zimmer. Er stank aus jeder Pore nach Branntwein und Schweiß, schien aber wieder nüchtern zu sein. Unsicher blieb er im Türrahmen stehen.
»Goedenavond. Ich habe Stimmen gehört, Lärm. Ist alles in Ordnung mit meiner Frau und dem
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