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Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler

Titel: Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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am Ende des Gerberviertels erreicht. Im Gegensatz zu den übrigen Gebäuden stand die Tür hier offen. Gerade eben schlich eine Gestalt aus dem Inneren ans trübe Tageslicht, die Magdalena erst auf den zweiten Blick erkannte.
    Mein Gott, Mutter …
    Mit einem Eimer voll Kehricht in der Hand schlurfte Anna-Maria Kuisl hinaus auf den Hof. Sie ging gebeugt und wirkte kleiner und zierlicher, als Magdalena sie in Erinnerung hatte. Auch glaubte die Henkerstochter in den Haarenihrer Mutter ein paar weiße Strähnen zu erkennen, die vorher noch nicht da gewesen waren.
    Sie ist alt geworden , dachte Magdalena, alt und traurig.
    Als Anna-Maria Kuisl den Kopf hob und ihre Tochter und die anderen vor sich sah, ließ sie den Kehrichteimer fallen und stieß einen lauten Schrei aus.
    »Den Heiligen sei Dank! Ihr seid’s zurück! Ihr seid’s wirklich zurück!«
    Sie lief auf ihren Mann und ihre Tochter zu, schloss beide in die Arme und begann hemmungslos zu weinen. Lange standen sie so im Regen, ein in sich verknotetes Bündel Menschen, versunken in ihrer Liebe zueinander, während Simon abseits ein wenig verlegen von einem Fuß auf den anderen trat.
    Schließlich richtete sich Jakob Kuisl auf, wischte sich über die Augen und ergriff das Wort.
    »Was ist hier passiert?«, fragte er und deutete auf die umliegenden Häuser. »Sag schon, Weib, welche Plage hat der Herrgott diesmal geschickt, um uns zu prüfen?«
    »Die Pest«, flüsterte seine Frau und schlug ein Kreuz. »Es ist die Pest. Über zweihundert Leut hat sie schon dahingerafft. Jeden Tag werden’s mehr, und …«
    Jakob Kuisl packte sie fest an den Armen, sein Gesicht hatte innerhalb eines Augenblicks sämtliche Farbe verloren. »Die Kinder! Was ist mit den Kindern?«, keuchte er.
    Anna-Maria lächelte schwach. »Sind wohlauf. Doch wie lange noch? Ich hab ihnen einen Sud aus Kröten und Essig gemacht, nach dem Rezept vom Kaufbeurer Scharfrichter Seitz. Aber der Georg will ihn partout nicht trinken.«
    »Schmarren!«, blaffte Jakob Kuisl. »Kröten und Essig! Weib, wer hat dir diesen Unsinn eingeredet? Zeit wird’s, dass ich wieder nach dem Rechten seh. Lass uns reingehen.Ich brau den Kindern einen Becher mit Angelica-Pulver und …«
    Das Geräusch von Schritten ließ ihn innehalten. Als der Henker sich umdrehte, stand auf dem Hof Johann Lechner. Der Schongauer Gerichtsschreiber trug einen langen braunen Pelzmantel über seiner unauffälligen Amtstracht. Lechner sah aus, als machte er nur einen kleinen Spaziergang, der ihn zufällig ins Gerberviertel geführt hatte. Zu seiner Linken und Rechten scharrten nervös zwei Wachen, die sich Tücher vor den Mund gebunden hatten und so wirkten, als würden sie am liebsten sofort das Weite suchen.
    »Wie schön, dass du wieder da bist«, begann Johann Lechner mit leiser Stimme, auf dem Mund ein spöttisches Lächeln. »Du siehst, wir haben in der Zwischenzeit selber den Dreck aus der Stadt geschafft. Eigentlich ist das ja Aufgabe des Henkers, aber wenn der nun mal nicht da ist …« Er machte eine kleine bedrohliche Pause. »Glaub mir, Kuisl, das wird ein Nachspiel haben.«
    »Ich hatte meine Gründe«, murrte der Scharfrichter.
    »Sicher, sicher.« Lechner nickte beinahe verständnisvoll. »Wir alle haben unsere Gründe. Aber es gibt nicht wenige, die behaupten, schlimme Gerüche und Miasmen hätten sich wegen dem Dreck ausgebreitet und die Pest nach Schongau gebracht. Der Henker sei deshalb schuld an unser aller Unglück. Was hältst du von dieser Theorie, hm?«
    Jakob Kuisl schwieg trotzig. Endlich fuhr der Schreiber fort, während er mit seinem Spazierstock Muster in den nassen Dreck malte.
    »Ich gebe zu, als ich hörte, dass du wiederkommst, hab ich zunächst daran gedacht, dich auf einer Tierhaut aus der Stadt schleifen und in der nächsten Odelgrube versenken zu lassen«, sagte er betont beiläufig. »Aber dann fiel mirein, was für eine zum Himmel schreiende Verschwendung das wäre.« Lechner sah dem Henker fest in die Augen. »Ich will noch einmal Gnade walten lassen, Kuisl. Die Stadt braucht dich, nicht nur, um den Dreck wegzuschaffen. Die Leute erzählen sich von deinen Heilkünsten ja wahre Wunder. Und ein paar Wunder können wir jetzt tatsächlich brauchen. Zumal uns zurzeit leider auch ein Medicus fehlt …« Lechners Stimme schwebte in der Luft wie ein Schwert an einem Faden, er hatte seinen Blick auf Simon gerichtet und musterte ihn abwartend.
    »Was … was meint Ihr damit?« Simon spürte, wie es ihm den

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