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Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)

Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)

Titel: Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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PROLOG
DER WEISSE MERCEDES
    Zur Arbeit zu gehen bedeutete überall dasselbe, daran hatte auch der Wechsel vom Marxismus-Leninismus zum Chaos-Kapitalismus nicht viel geändert – das heißt, vielleicht war alles noch ein bisschen schlechter geworden. Weil inzwischen fast jeder ein Auto hatte, waren selbst Moskaus breite Straßen nicht mehr breit genug. Die Mittelspur auf den großen Boulevards war nicht mehr nur dem Politbüro oder Mitgliedern des Zentralkomitees vorbehalten, die ein persönliches Vorfahrtsrecht beanspruchten, so wie damals die Zarenprinzen in ihren Troikas. Jetzt war sie für jeden mit einem ZIL oder einem anderen Privatauto die Linksabbiegerspur. Sergei Nikolaiewitsch Golowko besaß einen weißen Mercedes 600 der S-Klasse mit zwölf Zylindern deutscher Dynamik unter der Motorhaube. Davon gab es nicht viele in Moskau, und sein Wagen war eine Extravaganz, für die er sich eigentlich hätte schämen müssen … was er aber nicht tat. Auch wenn in Moskau die Nomenklatura abgeschafft war, so gab es doch immer noch Rangunterschiede und Privilegien – und er war der Leiter des SVR. Er hatte auch eine große Wohnung, im obersten Stockwerk eines Hochhauses am Kutusowski Prospekt, das relativ neu gebaut und gut ausgestattet war, bis hin zu den aus deutscher Herstellung stammenden Haushaltsgeräten, die seit eh und je zum Luxusstandard hochrangiger Regierungsbeamter gehörten.
    Er saß nicht selbst am Steuer. Dafür hatte er Anatoli, einen stämmigen ehemaligen Spetsnaz-Soldaten für besondere Aufgaben, der immer eine Pistole unter der Jacke bei sich trug und das Auto mit seinem aggressiven Fahrstil triezte, dann aber wieder geradezu zärtlich pflegte. Die Fensterscheiben waren abgedunkelt und versagten Außenstehenden den Blick ins Innere. Außerdem bestanden sie aus dickem Panzerglas, das Geschossen bis zu 12,7 Millimetern standhalten konnte – jedenfalls laut Auskunft des Händlers Golowkos Einkäufern gegenüber, als sie den Benz vor sechzehn Monaten akquiriert hatten. Die Panzerung machte den Wagen fast eine Tonne schwerer als den normalen S600er, was aber der Kraft und dem Fahrverhalten keinen Abbruch tat. Kaputtgehen würde er letztlich durch die schlechten Straßen. Im Straßenbau muss unser Land unbedingt aufholen, dachte Golowko beim Umblättern der Morgenzeitung. Er las die amerikanische International Herald Tribune , eine stets verlässliche Nachrichtenquelle, war sie doch ein Jointventure von The Washington Post und The New York Times , die beide zu den tüchtigsten Geheimdiensten der Welt zählten, auch wenn sie etwas zu arrogant waren, um der eigentlichen Elite zugerechnet werden zu können – der gehörten Sergei Nikolaiewitsch und seine Leute an.
    Er war in den Geheimdienst eingetreten, als sein Arbeitgeber noch unter dem Kürzel KGB firmiert hatte. Das Komitee für Staatssicherheit war, wie er immer noch fand, die beste Behörde ihrer Art gewesen, die es je gegeben hatte. Dass sie letztlich scheitern musste, änderte nichts an seiner Einschätzung. Golowko seufzte. Wäre die UdSSR nicht Anfang der 90er Jahre untergegangen, hätte er heute in seiner Position als SVR-Chef Sitz und Stimme im Politbüro. Er wäre ganz oben an den eigentlichen Schalthebeln der Macht, ein Mann, dessen Blick allein andere vor Angst erzittern lassen könnte … aber … Ach, was soll’s?, dachte er. Nichts als Hirngespinste, und die gehörten sich nicht für einen Mann seines Schlages. Er wusste zwischen Wirklichkeit und Vorstellung genau zu unterscheiden. Der KGB hatte die Aufgabe gehabt, harte Fakten zu sammeln und diese an diejenigen weiterzugeben, die einen Traum verfolgten und die Wirklichkeit darauf hinzubiegen versuchten. Als sich die Wahrheit nicht länger leugnen ließ, verflüchtigte sich der Traum wie eine Dampfwolke im Wind, und die Realität brach sich Bahn wie Schmelzwasser im Frühling. Und die Mitglieder des Politbüros, jene brillanten Köpfe, die sich diesem Traum verschrieben hatten, mussten daraufhin erkennen, dass ihre Theorien nichts als dürre Strohhalme gewesen waren und die Realität eine schwingende Sichel, von einer Hand geführt, der es wahrhaftig nicht um Erlösung ging.
    Damit hatte Golowko nichts zu tun. Als Beschaffer von Fakten konnte er seinen Beruf weiter ausüben, er wurde nach wie vor gebraucht. Im Grunde hatte seine Autorität sogar noch zugenommen, denn er kannte die Welt und etliche ihrer wichtigsten Persönlichkeiten. Er war als Berater seines Präsidenten bestens

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