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Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler

Titel: Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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Die Wand war nun direkt über ihnen, ein steinerner Gigant, der seinen Schatten auf die kleine Gruppe Menschen warf. Scharfe Kanten gruben sich in die linke Floßseite und schnitten den äußersten Fichtenstamm der Länge nach auf wie einen Laib Brot.
    »Heiliger Nepomuk, steh uns bei! Gütige Jungfrau Maria, hilf uns in unserer Not! Seliger Nikolaus, verschone uns …«
    Kuisl blickte mürrisch zur Seite, wo eine Klosterschwester sich an einen elfenbeinernen Rosenkranz klammerte und unablässig ihre Gebete in den wolkenlosen Himmel greinte. Auch die anderen Reisenden auf den Holzbänken murmelten mit kreidebleichen Gesichtern Fürbitten und bekreuzigtensich. Ein fetter Großbauer wartete mit geschlossenen Augen und Schweißperlen auf der Stirn auf sein sicheres Ende, ein Franziskanermönch rief mit sich überschlagender Fistelstimme die vierzehn Notheiligen an. Der kleine Junge, den Jakob Kuisl soeben vor dem Ertrinken bewahrt hatte, klammerte sich an seinen Vater und weinte. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis der Fels die zusammengeschnürten Stämme zermalmt haben würde. Die wenigsten der Menschen auf dem Floß konnten schwimmen, aber es war ohnehin fraglich, ob ihnen das in den reißenden Strudeln geholfen hätte.
    »Dreckswasser, vermaledeites!«
    Kuisl spuckte aus und warf sich nach vorne, wo der Steuermann noch immer versuchte, das mit Tauen am Bug befestigte Ruder herumzureißen. Der Schongauer Henker stellte sich breitbeinig neben den Flößer und drückte mit seinem stämmigen Oberkörper gegen die Stange. Es fühlte sich an, als hätte sich das Steuerruder in irgendetwas tief unten im eiskalten Flusswasser verfangen. Kuisl gingen die Schauergeschichten der Flößer durch den Kopf, die von schleimigen, bösartigen Ungeheuern am Grunde des Flusses zu berichten wussten. Erst gestern hatten ihm Fischer von einem fünf Schritt langen Waller erzählt, der im Donaudurchbruch in einer Höhle hausen sollte. Was in Dreiteufelsnamen drückte dort unten gegen die Stange?
    Mit einem Mal spürte er, wie das Ruder sich ein winziges Stück bewegen ließ. Ächzend stemmte er weiter, er hatte das Gefühl, dass seine Knochen jeden Moment brechen müssten. Ein letztes Knirschen, und plötzlich gab das Ruder nach, das Floß drehte sich gegen den Strudel und wurde mit einer letzten schaukelnden Bewegung von der Felswand förmlich wegkatapultiert.
    NurAugenblicke später trieben sie pfeilschnell auf drei kleine felsige Inseln auf der rechten Uferseite zu, wieder schrien einige der Reisenden auf, doch der Flößer hatte mittlerweile wieder die Kontrolle über sein Gefährt. Das Floß rauschte an den von Gischt umspülten Felskuppen vorbei, noch einmal tauchte es mit dem Bug tief in das Wasser ein; dann hatten sie die gefährliche Flussenge passiert.
    »Einen schönen Dank auch!« Der Steuermann wischte sich Schweiß und Wasser aus den Augen und reichte Kuisl seine schwielige Hand. »Um ein Haar hätt sich die Lange Wand uns alle zur Vesper schmecken lassen. Magst ned auch Flößer werden?« Er griente Kuisl an, während er gleichzeitig dessen Bizeps abtastete. »Kraft hast wie zwei Ochsen und fluchen kannst auch schon wie unsereins. Also, wie wär’s?«
    Jakob Kuisl schüttelte den Kopf. »Vergelt’s Gott. Aber ihr hättet keine Freud mit mir. Noch so ein Strudel, und ich speib euch ins Wasser. Ich brauch die Erde unter den Füßen.«
    Der Flößer lachte, und Kuisl schüttelte die nassen zottigen Haare, so dass die Tropfen in alle Richtungen spritzten.
    »Wie lang wird’s noch bis Regensburg sein?«, fragte er den Steuermann. »Dieser Fluss macht mich noch ganz damisch. War bestimmt das zehnte Mal, dass ich gedacht hab, um uns ist’s geschehen.«
    Jakob Kuisl blickte zurück, wo noch immer die Felswände links und rechts des Flusses emporragten. Manche von ihnen erinnerten ihn an versteinerte Untiere oder an Köpfe von Riesen, die auf das Gewusel der winzigen Sterblichen tief unter ihnen hinabstarrten. Kurz davor hatten sie das Weltenburger Kloster passiert, eine von Kriegund Hochwasser zerfressene Ruine. Trotz ihres traurigen Zustands suchte sie noch so mancher Donaureisende für ein stilles Gebet auf. Die darauffolgende Flussenge galt gerade nach starken Regenfällen als echte Herausforderung für jeden Flößer – ein paar Vaterunser vorher konnten da sicher nicht schaden.
    »Die Lange Wand ist bei Gott die schlimmste Stelle«, sagte der Steuermann und schlug ein Kreuz. »Besonders bei Hochwasser. Aber jetzt

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