Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
geht’s friedlich dahin, mein Wort. In ein paar Stunden sollten wir ankommen.«
»Ich hoff, du hast recht«, knurrte der Henker. »Sonst zieh ich dir dein gottverdammtes Ruder über den Rücken.«
Jakob Kuisl wandte sich ab und tapste mit vorsichtigen Schritten den schmalen, glitschigen Gang zwischen den Bankreihen entlang nach hinten, wo die Ladung in Fässern und Kisten verstaut war. Das Reisen auf dem Floß war ihm zuwider, auch wenn es sicherlich die schnellste und immer noch sicherste Art war, in eine andere Stadt zu kommen. Der Henker liebte es, festen Waldboden unter seinen Füßen zu spüren. Aus Holzstämmen baute man Häuser, Tische und meinetwegen Galgen, aber man stolperte nicht über sie, während sie durch reißendes Wasser schaukelten. Kuisl war froh, wenn das Geschaukel bald ein Ende hatte.
Dankbar musterten ihn die Reisenden, die mittlerweile wieder etwas Farbe im Gesicht hatten und vor Erleichterung beteten oder laut lachten. Der Vater des geretteten Jungen wollte Kuisl an die Brust drücken, doch der Henker wischte den Mann beiseite und verschwand brummend zwischen den verzurrten Kisten.
Hier, auf der Donau, vier Tagesreisen von seiner Heimat entfernt, wussten weder Passagiere noch Mannschaft,dass Jakob Kuisl der Schongauer Scharfrichter war. Für den vorderen Steuermann war dies ein Glücksfall. Hätte sich herumgesprochen, dass ein Henker dem Flößer beim Rudern geholfen hatte, der Mann wäre vermutlich aus seiner Zunft verstoßen worden. Kuisl hatte davon gehört, dass in manchen Gegenden die Berührung, ja allein schon der Blick eines Scharfrichters ehrlos machen konnte.
Jakob Kuisl kletterte auf ein Fass gepökelter Heringe im hinteren Teil der Ladung und steckte sich seine Pfeife an. Jetzt, hinter der berüchtigten Weltenburger Enge, wurde die Donau wieder breiter. Das Städtchen Kelheim tauchte linker Hand auf, schwer bepackte Kähne glitten so nah am Floß vorbei, dass Kuisl ihre Ladung fast berühren konnte. Von einem weiter entfernten Schiff war das Lied einer Fiedel zu hören, begleitet vom Klirren eines Schellenkranzes. Gleich dahinter pflügte sich ein Floß, breit wie ein Haus, gemächlich durch die Strömung. Es war beladen mit Kalk, Eibenholz und Ziegeln und hing so tief im Wasser, dass immer wieder kleine Wellen über die Stämme spülten. Der Floßmeister, der vor seiner notdürftig gezimmerten Hütte in der Mitte des behäbigen Gefährts stand, schlug eine Glocke, als ihm einige kleinere Fischerboote gefährlich nahe kamen.
Der Henker ließ ein paar Tabakswolken in den blauen, fast wolkenlosen Sommerhimmel steigen und versuchte für einige Minuten, den traurigen Grund seiner Reise zu vergessen. Sechs Tage war es nun her, dass ihn in seinem Haus in Schongau ein Brief aus dem fernen Regensburg erreicht hatte. Der Inhalt des Schreibens hatte ihn mehr getroffen, als Kuisl seiner Familie gegenüber hatte zeigen wollen. Seine jüngere Schwester Lisbeth, die seit Jahren als Ehefrau eines Baders in der fernen Reichsstadt lebte, warschwer krank. Von einer Geschwulst im Bauch war die Rede, von schrecklichen Schmerzen und schwarzem Ausfluss. In dem mit krakeligen Zeilen beschriebenen Pergament bat ihn sein Schwager, so bald wie möglich nach Regensburg zu kommen, da nicht sicher sei, wie lange Lisbeth noch lebte. Also hatte der Schongauer Henker den Arzneischrank in seiner Stube ausgeräumt, Schlafmohn, Arnika und Johanniskraut in seinen Leinensack gepackt und war auf das nächste Floß Richtung Donau gestiegen. Als Scharfrichter war es ihm eigentlich nicht gestattet, ohne Genehmigung des Rates die Stadt zu verlassen, aber Kuisl hatte sich über das Verbot einfach hinweggesetzt. Sollte ihn der Gerichtsschreiber Johann Lechner nach seiner Rückkehr doch vierteilen lassen! Das Schicksal seiner Schwester war ihm wichtiger. Kuisl traute den studierten Quacksalbern nicht, die Lisbeth vermutlich nur Blut abzapften, bis sie weiß war wie eine Wasserleiche. Wenn jemand seiner Schwester helfen konnte, dann nur er selbst und kein anderer.
Der Schongauer Scharfrichter tötete und heilte. In beidem war er ein Meister.
»He, Großer! Trinkst auch einen Schluck mit?«
Jäh aus seinen Gedanken gerissen sah Jakob Kuisl nach vorne, wo einer der Flößer ihm mit einem Glas zuprostete. Der Henker schüttelte den Kopf und schob seinen schwarzen Schlapphut in die Stirn, um sich vor der blendenden Sonne zu schützen. Seine große Hakennase ragte unter der Krempe hervor, darunter steckte die dampfende
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