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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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waren verklebt, tiefe Ringe hatten sich unter ihre Augen gegraben, seit fast dreißig Stunden hatte sie nicht mehr geschlafen. Die Geburt bei den Klingensteiners war eine der härtesten in diesem Jahr gewesen. Das Kind hatte verkehrt gelegen. Martha Stechlin hatte sich die Hände mit Gänsefett eingeschmiert und tief in den Leib der Mutter gelangt, um das Ungeborene zu drehen, doch es war ihr immer wieder entglitten.
    Maria Josefa Klingensteiner war vierzig Jahre alt und hatte schon ein Dutzend Geburten überstanden. Nur neun Kinder waren lebend zur Welt gekommen, fünf von ihnen hatten den ersten Frühling nicht erlebt. Vier Töchter waren Maria Josefa geblieben, doch ihr Mann hoffte immer noch auf einen Erben. Die Hebamme hatte beim Tasten im Mutterleib bereits gespürt, dass es diesmal ein Junge war. Noch schien er zu leben, doch mit jeder Stunde wurde die Wahrscheinlichkeit größer, dass entweder Mutter oder Kind den Kampf nicht überstehen würden.
    Maria Josefa schrie, tobte und weinte. Sie verfluchte ihren Mann, der sie wie ein brünstiger Stier nach jeder Geburt neu bestieg, sie verfluchte das Kind, sie verfluchteden lieben Herrgott. Als der Morgen graute, war sich die Hebamme sicher, dass der Junge tot war. Für diesen Fall hatte sie einen alten Schürhaken dabei, mit dem sie im Notfall das Kind wie einen Brocken Fleisch aus dem Leib zog, manchmal Stück für Stück. Die anderen Frauen in der stickig heißen Stube, Tanten, Nichten, Basen, hatten bereits nach dem Pfarrer geschickt; das Weihwasser zur Nottaufe stand auf dem Kamin. Doch dann, mit einem letzten Schrei der Klingensteinerin, bekam die Hebamme den Jungen an den Füßen zu fassen. Wie ein neugeborenes Fohlen rutschte er ans Licht. Er lebte.
    Es war ein kräftiges Kind. Und wahrscheinlich der Mörder seiner Mutter, dachte Martha Stechlin, als sie auf den bleichen, keuchenden Leib von Maria Josefa blickte und die Nabelschnur mit der Schere durchtrennte. Die Frau des Schmieds hatte viel Blut verloren, das Stroh am Boden war rot und schmierig. Ihre Augen waren eingefallen wie bei einer Toten. Aber wenigstens hatte ihr Mann jetzt einen Erben.
    Die Geburt hatte die ganze Nacht gedauert, am Morgen hatte Martha Stechlin noch einen Sud aus Wein, Knoblauch und Fenchel zur Stärkung gebraut und die Mutter gewaschen, dann war sie nach Hause gegangen. Jetzt saß sie am Tisch ihrer Stube und versuchte, sich die Müdigkeit aus den Augen zu wischen. Gegen Mittag würden, wie so oft in letzter Zeit, die Kinder bei ihr vorbeischauen. Selbst konnte sie keine bekommen, obgleich sie doch schon so viele auf die Welt gebracht hatte. Umso froher war die Hebamme, dass Sophie, der kleine Peter und die anderen sie oft besuchten. Wenn sie sich auch manchmal wunderte, was die Kinder an einer vierzigjährigen Hebamme mit ihren Salben, Tiegeln und Pulvern fanden.
    Martha Stechlin hörte ihren Magen knurren. Ihr fielein, dass sie seit zwei Tagen nichts mehr gegessen hatte. Nach ein paar Löffeln kalter Hafergrütze aus dem Topf über der Feuerstelle wollte sie zunächst einmal gründlich aufräumen. Etwas war ihr abhandengekommen. Etwas, das auf keinen Fall in die falschen Hände geraten durfte. Wahrscheinlich hatte sie es nur verlegt …
    Vom Marktplatz her kamen Schreie. Zuerst waren sie nur schwach zu vernehmen, ein Stimmengemurmel, leise und bedrohlich wie das wütende Summen eines Wespenschwarms.
    Martha blickte von ihrer Schüssel hoch. Irgendetwas war dort draußen passiert, doch sie war zu müde, um zum Fenster zu gehen und nachzusehen.
    Dann kamen die Schreie näher, Schritte waren zu hören, Menschen, die über den gepflasterten Marktplatz liefen, am Sternwirt vorbei und in die enge Gasse hinein, hin zum Kuehtor. Martha Stechlin konnte jetzt einen Namen aus dem Stimmengewirr heraushören.
    Es war ihr Name.
    »Stechlin, Hexe! Brennen sollst, brennen! Komm raus, Stechlin. «
    Die Hebamme lehnte sich aus der Fensteröffnung im Parterre, um Genaueres zu erkennen, da traf sie ein faustgroßer Stein direkt an der Stirn. Martha Stechlin wurde schwarz vor Augen, sie sank zu Boden. Als sie wieder zu sich kam, sah sie durch einen Blutschleier, wie die Tür zu ihrem Haus aufgestoßen wurde. Geistesgegenwärtig sprang sie auf und warf sich dagegen. Mehrere Beine versuchten sich durch den Schlitz zu schieben. Dann fiel die Tür zu. Von draußen erklang wütendes Rufen.
    Martha suchte in ihrem Kleid nach dem Schlüssel. Wo war er nur? Wieder drückte jemand gegen die Tür. Da, auf

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