Die Herren der Unterwelt 01 - Schwarze Nacht
von mir sein wie nur möglich.“
Beim letzten Wort zog er die Augenbrauen hoch. In der nächsten Sekunde bellte er: „Zu spät! Schmerz sucht bereits nach mir.“ Er kroch wieder von ihr weg. Die skelettartige Maske flackerte immer noch unter seiner Haut. „Lauf. Geh zurück in die Stadt. Sofort!“
„Nein“, erwiderte sie mit erstaunlich fester Stimme. Nur ein Dummkopf verließ freiwillig den Himmel – selbst wenn ein Stück des Himmels ein durchsichtiges Gesicht hatte, das direkt aus der Hölle zu kommen schien.
Maddox fluchte leise, zog die Messer aus dem Baumstamm und sprang auf die Füße. Er blickte gen Himmel, vorbei an dem Schnee und den Baumwipfeln zum Halbmond. Sein Stirnrunzeln wurde grimmig, zornig. Ein Schritt, zwei Schritte – er entfernte sich langsam.
Ashlyn lehnte sich gegen den Baum und stand auf. Ihre Beine hätten fast unter ihrem Gewicht nachgegeben. Auf einmal spürte sie den eisigen Wind wieder und hörte die Stimmen auf sich zukommen. Ein Schrei der Verzweiflung steckte ihr in der Kehle.
Drei Schritte, vier.
„Wohin gehst du?“, fragte sie. „Lass mich hier nicht einfach zurück.“
„Ich habe keine Zeit mehr, dich in Sicherheit zu bringen. Du musst deinen Weg alleine finden.“ Er wirbelte herum und wandte ihr sein breites Kreuz zu. Aber dann drehte er sich noch einmal halb zu ihr um. „Komm nie wieder zu diesem Hügel zurück, Frau. Nächstes Mal werde ich nicht so gnädig sein.“
„Ich gehe nicht weg. Egal, wo du hingehst, ich folge dir.“ Das war eine klare Drohung und ihr voller Ernst.
Maddox blieb stehen, drehte sich um und sah sie an, wobei er Furcht erregend die Zähne fletschte. „Ich könnte dich auf der Stelle töten, Köder, und das sollte ich wohl auch tun. Wie willst du mir dann noch folgen?“
Köder, schon wieder. Ihr Herz hämmerte hart in ihrer Brust, doch sie hielt seinem zornigen Blick stand und hoffte, trotzig und entschlossen und nicht einfach nur versteinert zu wirken. „Glaub mir, ich lasse mich lieber umbringen, als alleine mit den Stimmen hier zu bleiben.“
Ein Fluchen, ein qualvolles Zischen. Er krümmte sich.
Die Sorge war größer als die Angst, und Ashlyn lief zu ihm. Sie fuhr ihm mit der Hand über den Rücken und suchte nach einer Verletzung. Wenn etwas ein so bulliges Wesen wie ihn schier umhaute, musste es sehr schmerzhaft sein. Er stieß sie kräftig weg, und sie stolperte.
„Nein“, wies er sie zurück, und sie hätte schwören können, dass er mit zwei verschiedenen Stimmen sprach. „Keine Berührungen.“
„Bist du verletzt?“ Sie stand wieder auf und versuchte, nicht zu zeigen, wie sehr seine Reaktion sie gekränkt hatte. „Vielleicht kann ich dir helfen. Ich …“
„Verschwinde oder stirb.“ Er drehte sich ruckartig um, rannte los und verschwand in der Nacht.
Das Stimmengewirr brach über sie herein, als hätte es nur auf seinen Abgang gewartet. Es erschien ihr lauter als je zuvor, ein schreckliches Plärren nach der süßen Stille.
Langnak ithon kel moradni.
Während sie Maddox hinterherstolperte, hielt Ashlyn sich die Ohren zu. „Warte.“ Sie stöhnte. Seid still, seid still, seid still.
„Warte. Bitte!“
Ihr Fuß verfing sich in einem heruntergefallenen Ast, und sie fiel abermals hin. Sie spürte einen stechenden Schmerz im Knöchel. Wimmernd hievte sie sich auf Hände und Knie und krabbelte weiter.
Ate ìtéleted let minket veszeijbe.
Nicht anhalten. Sie musste ihn finden. Der Wind, der genauso scharf war wie die Dolche, die Maddox bei sich trug, schlug ihr entgegen.
Die Stimmen zeterten unaufhörlich.
„Bitte“, weinte sie. „Bitte!“
Ein wütendes Getöse teilte die Nacht und ließ Boden und Bäume erzittern.
Plötzlich war Maddox wieder an ihrer Seite und ertränkte die Stimmen. „Dummer Köder“, zischte er. Dann fügte er – mehr zu sich selbst sprechend – hinzu: „Dummer Krieger.“
Sie schrie erleichtert auf und schlang die Arme um ihn. Hielt ihn fest. Sie würde ihn nie mehr gehen lassen – auch wenn er noch so todbringend ausschauen sollte. Tränen liefen ihr die Wangen hinab und kristallisierten auf ihrer Haut. „Danke. Danke, dass du zurückgekommen bist. Danke.“ Sie vergrub das Gesicht in der Kuhle seines Halses, so wie sie es schon zuvor hatte tun wollen. Als ihre Wange seine nackte Haut streifte, erzitterte sie, und wieder durchfuhr sie dieses warme Prickeln.
„Du wirst es noch bereuen“, meinte er, als er sie hochhob und wie einen Kartoffelsack über die
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