Die Herren der Unterwelt 01 - Schwarze Nacht
Dämons zu unterdrücken. Doch es war ein ständiger Kampf, den er jederzeit wieder verlieren konnte.
Was hätte er doch für einen einzigen friedlichen Tag gegeben. Ohne das überwältigende Verlangen zu verspüren, jemandem wehzutun. Ohne gegen sich selbst zu kämpfen. Ohne Sorgen. Ohne Tod. Einfach nur … Frieden.
„Du bist hier nicht sicher“, warnte er seinen Freund, der immer noch in der Tür stand. „Geh lieber.“ Er legte die silberne Stange in die Halterung und setzte sich auf. „Nur Lucien und Reyes dürfen in meiner Nähe sein, wenn ich sterbe.“ Und das auch nur, weil sie dabei – wenn auch unfreiwillig – eine zentrale Rolle spielten. Sie waren ihren Dämonen genauso hilflos ausgeliefert wie Maddox.
„Bis dahin ist noch knapp eine Stunde Zeit“, Torin warf ihm ein Tuch zu, „also lass ich’s drauf ankommen.“
Maddox griff hinter sich, fing das weiße Tuch auf und drehte sich um. Er wischte sich das Gesicht ab. „Was …“
Eine eiskalte Flasche Wasser sauste durch die Luft, noch bevor er die zweite Silbe ausgesprochen hatte. Er fing sie geschickt auf, wobei etwas Flüssigkeit auf seine Brust spritzte. Während er trank, musterte er seinen Freund.
Wie gewöhnlich war Torin ganz in Schwarz gekleidet und trug Handschuhe. Das blonde Haar lockte sich auf seinen Schultern und rahmte ein Gesicht ein, das sterbliche Frauen als Festschmaus für die Sinne bezeichneten. Sie wussten nicht, dass dieser Mann der Teufel im Gewand eines Engels war. Doch sie hätten es wissen sollen. Er strahlte eine unübersehbare Geringschätzung aus, und das gottlose Glänzen, das in seinen grünen Augen lag, verkündete, dass er seinem Gegenüber ins Gesicht lachen würde, während er ihm das Herz herausriss. Oder dass er seinem Gegenüber ins Gesicht lachen würde, während dieser ihm das Herz herausriss.
Um zu überleben, musste er so viel lachen wie möglich. So erging es ihnen allen.
Wie alle Bewohner der Budapester Burg war auch Torin verflucht. Er starb vielleicht nicht jede Nacht, so wie Maddox, aber er konnte kein Lebewesen berühren, ohne es mit einer Krankheit zu infizieren.
Torin war vom Dämon des Siechtums besessen.
Seit mehr als vierhundert Jahren war er von keiner Frau mehr berührt worden. Er hatte seine Lektion gelernt, als er seinem Verlangen ein Mal nachgab und das Gesicht seiner angehenden Geliebten streichelte. Er löste damit eine Seuche aus, die in unzähligen Dörfern Mensch für Mensch dahinraffte.
„Nur fünf Minuten“, verlangte Torin. „Um mehr bitte ich dich gar nicht.“
„Glaubst du, wir werden heute dafür bestraft, dass wir die Götter beleidigt haben?“, erwiderte Maddox. Er ignorierte die Bitte. Wenn er es gar nicht erst zuließ, dass man ihn um einen Gefallen bat, brauchte er auch nicht abzulehnen und sich später schuldig zu fühlen.
Sein Freund seufzte. „Jeder unserer Atemzüge soll eine Bestrafung sein.“
Er hatte recht. Maddox’ Lippen verzogen sich langsam zu einem messerscharfen Grinsen, als er an die Decke starrte. Ihr Bastarde. Na los, bestraft mich weiter. Vielleicht würde er sich dann endlich in Nichts auflösen.
Doch eigentlich glaubte er nicht, dass die Götter sich mit seinem Anliegen befassen würden. Seit sie ihn mit dem Todesfluch belegt hatten, ignorierten sie ihn und taten, als hörten sie sein Flehen um Vergebung und Absolution nicht. Als hörten sie seine Schwüre und seine verzweifelten Verhandlungen nicht.
Aber konnten sie ihm überhaupt noch etwas Schlimmeres antun?
Nichts konnte grausamer sein, als wieder und wieder zu sterben. Oder des Guten und der Rechtschaffenheit beraubt zu werden … oder den Gewaltdämon in der eigenen Seele und dem eigenen Körper zu beherbergen.
Maddox sprang auf und feuerte den mittlerweile nassen Lappen und die leere Flasche in den nächsten Mülleimer. Er schlenderte zum anderen Ende des Raumes, verschränkte die Hände über dem Kopf, lehnte sich gegen den halbrunden Erker aus Buntglas und starrte durch den einzig durchsichtigen Spalt in die Nacht.
Er sah das Paradies.
Er sah die Hölle.
Er sah die Freiheit, ein Gefängnis, alles und nichts.
Er sah … sein Zuhause.
Da die Burg auf einem Hügel stand, hatte er einen guten Blick über die gesamte Stadt. Helle Lichter blinkten – pink, blau und lila –, erhellten den düsteren, samtenen Himmel, glitzerten in der Donau und rahmten die schneebedeckten Bäume ein, von denen es in dieser Gegend so viele gab. Ein Wind wehte und Schneeflocken tanzten
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