Die Herren der Zeit
herausgekommen?
»Hallo?«, rief er vorsichtig. Und dann fielen ihm die Namen seiner Gefährten wieder ein, und er versuchte es mit: »Gilfalas? Aldo?«
Jetzt erst merkte er, dass er am Boden lag, und richtete sich auf. Seine Axt war noch an Ort und Stelle, in dem Lederfutteral an seinem Gürtel, aber er registrierte das nur beiläufig, nahm es gar nicht richtig wahr. Noch halb benommen, tappte er ein paar Schritte und stolperte über einen Stein. Als er, noch mit den Armen rudernd, zu Fall kam, löschte plötzlich ein großer Schatten den Himmel aus. Er prallte gegen eine große, massige Gestalt, und zwei mächtige Pranken fingen ihn auf.
»Gorbaz?«
»Silentium!« , knurrte der Bolg.
Es war wie ein Schock, den großen, ungeschlachten Burschen in der Sprache der Studentenkneipen reden zu hören. Doch dann ging ihm auf, dass natürlich auch die Legionen ihre Kommandos in der imperialen Sprache erhielten. Die Erkenntnis ließ die Welt wieder in ihre gewohnte Perspektive kippen, und er erkannte, dass sie sich in einer schmalen Gasse befanden. Es war Nacht. Mangels Beleuchtung war so gut wie nichts zu sehen, bis auf den helleren Streifen des Himmels zu ihren Häupten, über den die Wolken zogen.
»Wo sind die anderen?«, fragte Burin mit unterdrückter Stimme.
Gorbaz zuckte die Achseln. »Weiß nicht. Gehen wir sie suchen.«
Sie brauchten nicht weit zu gehen.
Am Ende der Gasse, wo diese sich auf einen kleinen, von schiefen Fachwerkbauten umstandenen Hof öffnete, stießen sie auf zwei kleinere Schatten, an ihren Umrissen leicht zu erkennen: ein Elb und ein Ffolksmann.
»Gilfalas, was …?«, begann Burin.
»Psst!« Gilfalas gebot ihm mit einer Handbewegung zu schweigen und zog ihn in eine Nische an der Hauswand. Gorbaz verdrückte sich ein Stück weiter hinten, weil in der Enge kein Platz mehr für ihn war.
Der kleine Platz vor ihnen lag in dem fahlen Licht, das den heraufdämmernden Morgen verkündete. Ringsum herrschte Schweigen. Doch nein, dann hörten es auch Burins Ohren, die nicht ganz so scharf waren wie die spitzen Lauscher des Elben und des Ffolksmanns: Aus einem der Häuser drang noch Lärm – Geräusche, die von einem heftigen Streit kündeten, der sich im Innern abspielen musste.
Plötzlich öffnete sich im ersten Stock eine Tür. Licht fiel heraus, auf eine Galerie, die den ganzen vorderen Teil des Hauses einnahm. Eine Frau trat auf den Balkon; sie trug ein buntes Kleid, das von ihrer üppigen Figur mehr zeigte als verhüllte. Schmuck blinkte von Hals und Ohren, ihre weißen Arme waren von schweren Reifen geziert, und Ringe schmückten ihre Finger. Doch selbst in dem schwachen Licht konnte man sehen, dass ihre Lippen und Augen ein wenig zu grell geschminkt waren, als der reiche Schmuck hätte vermuten lassen, und ihre Stimme war schrill.
»Blöder Kerl, was erwart’st von mir? Kein Fickfack nur, du elend’s Pack! Also pack dich und verschwind!« Ihre Sprache war so derb und altertümlich, dass sie kaum zu verstehen war.
Ein Mann kam ihr nachgestiegen, den man nur schemenhaft erkannte. Er war ein Bär von einem Kerl. Doch sein Gang war unstet und seine Stimme verwaschen.
»Sei nicht g’schert, Ill-llona. Hör auf mit dem Geschrei! Wer besorgt’s dir sonst so deftig, so pfundig wie ich …?«
Offensichtlich war er betrunken. Er grabschte nach ihr, aber sie ließ ihn nicht zum Zuge kommen.
»Winter fickt mich in den Beutel. Wer nichts hat, der kriegt auch nichts. Itzt mach dich dünn!«
Der Mann jedoch ließ sich nicht abhalten. Er legte seinen Arm um die Hüfte der Frau und zog sie an sich heran – oder eher sich selbst an sie. Er versuchte sie zu küssen, aber sie drehte den Kopf weg, sodass er nur ihren Hals traf. Einen Augenblick sah es so aus, als ginge sie auf den plumpen Annäherungsversuch ein, aber das Funkeln in ihren Augen strafte ihre Bereitschaft Lügen. Ein Hüftschwung, dessen Behändigkeit ihre Körperfülle Lügen strafte, und der Mann kam ins Taumeln. Betrunken, wie er war, ruderte er noch mit den Armen, aber es half nichts. Gegen die Brüstung gepresst, verlor er das Gleichgewicht, kippte über das Geländer, überschlug sich einmal im Drehen und landete platschend in der Gosse, mit dem Gesicht im Dreck.
Die Frau auf der Galerie sah ihm nach, als wollte sie sich vergewissern, dass ihm auch nichts geschehen sei. In ihrem Gesicht mischte sich Triumph und Bedauern. Der Mann in der Gosse stemmte sich auf seine Unterarme hoch, fiel dann wieder zurück in den
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