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Die Herren der Zeit

Die Herren der Zeit

Titel: Die Herren der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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seltsamen Markierungen, die sich in die hohe Wölbung fortsetzten: Kreise innerhalb von Kreisen, Zonen und Meridiane, Breiten, Höhen und Azimuthe. Es war, als habe jemand alles in endlosen Zeiten erworbenes Wissen über den großen Mechanismus der Welt in diese Kuppel einbeschrieben, welche sich, obgleich unverrückbar wie der Berg, dessen Zentrum sie bildete, ewig mit unmerklicher Bewegung im Kreise zu drehen schien.
    In der Mitte des Raumes, unter dem Scheitel der Kuppel, lag ein gleichfalls rundes, in Stein gefasstes Becken; dies war das schwarze Wasser, das ihnen beim Eintritt entgegengeblinkt hatte. Und an der gegenüberliegenden Seite des Saales erhob sich auf drei Stufen ein erhöhtes, steingehauenes Podest.
    Auf dem Podest standen zwei steinerne Throne.
    Auf dem Thron zur Linken saß Er. Er trug die Gestalt eines Ffolksmanns, ein wohlgenährter Bürger in den besten Jahren, mit dem ersten Grau in den Schläfen, doch noch von voller Manneskraft. In seinen Augen war ein wenig von der Neugier des Gelehrten, doch auch von der Schläue eines Handelsherrn, der es versteht, ein Geschäft so abzuschließen, dass jeder dabei seinen Gewinn macht, vornehmlich aber er selbst, und mit der Erdverbundenheit eines Bauern. Vor allem aber war er der Vater, der die Dinge in der Familie nach Brauch und Sitte regelt, liebevoll und streng zugleich.
    Auf dem anderen Thron saß Sie. Sie war gekleidet wie eine Matrone, und ihre Hüften waren breit, schon ein wenig über die schlanke Gestalt einer jungen Frau hinaus. Dieser Leib hatte bereits Kinder getragen und zur Welt gebracht. Sie regierte den Haushalt und alles, was damit zu tun hatte, einschließlich ihres Gatten, war ihm bei seinen Geschäften eine zuverlässige Partnerin und tat doch in allem, wie ihr beliebte. Vor allem aber war sie die Mutter der Kinder, an deren weichem Busen man sich ausweinen konnte, wenn die Welt einen enttäuscht hatte, und Aldo wäre am liebsten zu ihr hingeeilt und hätte sich von ihr in ihre liebevollen Arme nehmen und an ihr Herz drücken lassen.
    »Preis sei Euch, Meister«, sprach Burin. »Und Euch Lob, Meisterin. Wie ich in Euch die Weisheit des Alters ehre, so seht Ihr gnädig auf mich und erhaltet mich in dieser Welt, wie Ihr es immer getan habt.«
    Und während Aldo vor Staunen nicht ein noch aus wusste, fiel Gilfalas mit seiner klaren Stimme ein:
    »Euch hier zu sehen, Herr«, sagte er, »ist die Freude meiner Jugend und ein unerwartetes Glück.«
    Und Ithúriël fuhr fort: »Und Euch, Herrin, in der Blüte Eurer Schönheit zu schauen ist mehr, als den Elben in den Mittelreichen je an Ehre zuteil ward. Doch sagt, haben Euch die Lilienfelder der Überwelt nicht mehr mit Kurzweil erfüllt, dass Ihr nun den Weg hinab zu uns gesucht habt.«
    Da begriff Aldo: Sie befanden sich in der Gegenwart jener Wesenheit, die in ihren zwei Gestalten die Welt regierte, und im Auge eines jeden erschien das Göttliche Paar so, wie der Betrachter es sehen konnte – die Elben als der Bräutigam und seine Braut; er selbst als Vater und Mutter; und der Zwerg als den Meister und die Meisterin, die seine Schöpfer waren.
    »Arzach-khân«, grollte Gorbaz, dass es von der Wölbung des Saales widerhallte, und schlug sich mit der Faust auf die Brust: der Salut eines Kriegers. »Agh Arraz-khanûm«, fügte er mit einer angedeuteten Verbeugung hinzu.
    Trotz des Zaubers, der sie in Bann hielt, wandten sich alle wie auf ein geheimes Zeichen um.
    Was sie da soeben gehört hatten, war so ungeheuerlich, dass es ihr ganzes Weltbild zum Wanken brachte. Der Bolg hatte dem Göttlichen Paar die Ehre erwiesen; ja, er hatte beide mit Namen genannt, in seiner eigenen Sprache. Hieß das, dass auch Bolgs eine Seele besaßen? Was konnte es anderes bedeuten?
    »Wenn ihr fertig seid mit Staunen«, sagte eine Stimme in ihrem Rücken, »können wir uns vielleicht dem Naheliegenden zuwenden. Weshalb ihr hier seid.«
    Aldo konnte in dem Gott auf dem Thron immer noch nichts anderes als den Vater sehen, in der Gestalt eines Ffolksmanns, und er hörte das gütige Schmunzeln in seinen Worten, wie es einem Vater geziemte. Wenn seine Gefährten etwas anderes vernommen hatten, so ließen sie es nicht erkennen.
    »Verzeiht, Meister«, sagte Burin mit einer Verbeugung, »und Ihr, Meisterin, vergebt mir –«
    »Sprich nur, Burin«, sagte die Göttin.
    »Ich hatte, um ehrlich zu sein, erwartet, hier Herrn Fregorin auf seinem Thron zu finden, zu Stein geworden, wie es allen Zwergen schließlich ergeht,

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