Die Herren vom Berge: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Platzwunden. Da musste einer mehrmals auf sie eingeschlagen haben. Ob der Knochen darunter zerschlagen war, mochte er lieber nicht wissen. Die Frau hatte die Augen geschlossen. Sie war sehr blass – totenblass.
Reimbert rüttelte an ihrer Schulter. »Hallo! Kannst du mich hören?«
Ein leises Stöhnen war die Antwort. Also war sie noch am Leben. Aber wie lange noch?
»Warte, ich helfe dir.«
Er legte sie vorsichtig ins Gras. Mit einer Handvoll Wasser wusch er ihr das Gesicht ab. Sie war noch recht jung. Und hübsch. Wo hatte er die schon einmal gesehen? Sie atmete schwach. Wie lange hatte sie hier wohl schon hier gelegen? Sicher einige Zeit, denn ihre Sachen waren nicht mehr nass. War sie überfallen worden? Ausgeraubt? Nach dem Kleid zu urteilen, gehörte sie zu einfacheren Leuten. Da lohnte es sich doch kaum. Oder jemand hatte ihr Gewalt antun wollen. Sie war noch jung genug und hübsch dazu.
»Wer bist du?« Er schüttelte sie wieder leicht. »Was ist passiert?«
Langsam machte sie die Augen auf, sah Reimbert an. Sie bewegte die Lippen, schien etwas sagen zu wollen. Sie zitterte. Man sah ihr die Anstrengung an, aber mehr als ein Hauchen war nicht zu hören.
»Ich verstehe dich nicht. Sag’s noch mal. Lauter.«
Sie versuchte es abermals, jedoch genauso leise. Erschöpft schloss sie die Augen. Sie schaffte es nicht, sie war zu schwach.
Reimbert wurde langsam ärgerlich. »Verflucht! Ich muss nach Minden. Und was mach ich jetzt mit dir? Wer bist du überhaupt? Wer hat dich so zugerichtet?«
Natürlich kam keine Antwort. Und nun? Trug sie etwas bei sich, woran man erkennen konnte, wer sie war, woher sie kam? Es musste doch jemanden geben, dem man Bescheid sagen konnte! Familie, Nachbarn ... Die hätten sich dann um sie gekümmert und nicht er. Keine Tasche, kein Beutel. Die Frau trug nur ein schmuckloses, kurzärmeliges Kleid.
Etwas Glänzendes schaute unter dem Stoff hervor. Eine Kette. Reimbert zog sie hervor. Ein kleines Kreuz hing daran. Schien aus Silber zu sein. Was bekäme man für so ein Kreuz? Ein Schwein sollte doch drin sein. Ein Schwein wäre nicht schlecht. Das gäbe Fleisch für eine lange Zeit, schönen, leckeren Schinken. Griebenschmalz. Reimbert lief das Wasser im Mund zusammen.
Die Frau öffnete plötzlich die Augen und blickte ihn an. Erschrocken ließ er das Kreuz los. Sie versuchte wieder zu sprechen, diesmal lauter.
Reimbert beugte sich über sie, hielt sein Ohr ganz nah an ihren Mund. »Was meinst du? Ata? Was soll das sein? Versuch’s noch mal.« Sie strengte sich noch mehr an. »Ach, Pater meinst du?«
Zur Bestätigung schloss sie einmal kurz die Augen. Sie versuchte wieder zu sprechen, doch sie schaffte es nicht, die Augen fielen wieder zu. Sie war abermals ohnmächtig geworden.
»Du willst also einen Pater«, sagte Reimbert mehr zu sich selbst. Die stirbt bald. Sie wollte wohl noch einmal beichten. Das hätte seine Lisa auch gewollt. So etwas schien bei den Weibern üblich zu sein. Jede Woche in die Kirche rennen und dem Pfaffen ihre Sünden vorheulen. Wenn der Herr im Himmel so allmächtig war, sah er doch so oder so, was wir falsch machen. Warum sollten wir das dann noch seinen Dienstboten hier unten erzählen? Was wollten die Frauen eigentlich beichten? Dass sie das Essen hatten anbrennen lassen? Dass das Bier sauer geworden war? Er musste für eine ganze Familie sorgen. Da hatte er keine Zeit für die Kuttenträger.
Brauchte die Frau jetzt eigentlich noch das Kreuz? Wenn sie tot war bestimmt nicht mehr. Und das war sie schon fast, das konnte jeder sehen. Sie hätte das Schmuckstück ja auch verloren haben können, als sie im Wasser lag. Oder die Kette wäre abgerissen, als sie niedergeschlagen wurde. Reimbert griff wieder nach der Kette. Wischte den Schmutz ab. Das Kreuz funkelte so schön. »Wenn ich dich rette, ist das doch eine gerechte Belohnung für mich, oder?«
Sie antwortete nicht. Für ihn hieß das Ja. Er versuchte, der Frau die Kette über den Kopf zu ziehen. Die Haare hatten sich in den Gliedern verheddert. Er zerrte und versuchte, die Kette aus dem Gewirr der Strähnen zu lösen.
»Reimbert?«
Der Angesprochene fuhr erschrocken in die Höhe.
Ein Stück hinter ihm stand sein Nachbar Martin. Ein hochgewachsener, kräftiger Mann von gerade einmal dreißig Jahren. Schopf und Bart waren blond gelockt. Im Gegensatz zu Reimbert hatte er für den Markt saubere und ungeflickte Kleidung angelegt, da er wusste, dass man so bessere Geschäfte machen konnte. Die
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