Die Herren von Everon
Finger. Der Draht war so dick wie der für einen Zaun und hätte nicht fester sitzen können, wenn er in Beton statt in Holz verankert gewesen wäre.
„Ich sage dir doch, Mikey, es ist alles in Ordnung.“ Jef trat vom Fenster zurück und machte sich wieder daran, den aufgeregten Maolot zu beruhigen. „Wir warten einfach. Sie können uns nicht für immer hier einschließen.“
Der Tag verging. Die Schatten, die die Äste und Blätter der Variform-Eichen oberhalb des Fensters auf den draußen sichtbaren kleinen Fleck aus kahlem Boden und Moosgras warfen, wurden länger. Allmählich verlor Jef den Glauben daran, es werde schließlich irgendwer kommen und sie hinauslassen. Doty brauchte sie nur ohne Essen und Wasser eingesperrt zu lassen, bis sie starben – sie einfach zu vergessen, bis alles vorüber war. Und wer würde sich die Mühe machen, nach ihnen zu forschen? Der Konnetabel drunten in der Raumhafenstadt würde schlicht annehmen, Jef sei mit Beau leCourboisier an einen anderen Ort gegangen. Natürlich würde man sich nach einiger Zeit im Forschungsamt auf der Erde Sorge machen, wenn keine Nachricht von ihm kam, und auf Everon nachfragen. Aber bis dahin konnten er und Mikey irgendwo im Wald begraben und ihre Gräber unter nachgewachsenen Schlingpflanzen und Moosgras so versteckt sein, daß sie nicht mehr zu entdecken waren …
Mit einem Ruck riß sich Jef aus diesen Gedanken los. Offenbar spürte Mikey seine düstere Stimmung und geriet immer mehr aus der Fassung. Außerdem war das Bild, das er sich ausgemalt hatte, zu übertrieben, um Wahrheit werden zu können. Wenn die Wild-Rancher ihn und Mikey aus irgendeinem Grund loswerden wollten, wäre es weitaus einfacher gewesen, wenn sie sie mit einer Armbrust, wie Jarji eine hatte, erschossen und irgendwo im Wald begraben hätten, als sich all die Umstände zu machen, sie einzusperren und darauf zu warten, bis sie an Hunger und Durst gestorben waren.
Es war unvernünftig, mit irgendeiner anderen Möglichkeit zu rechnen als der, daß irgendwann jemand kommen würde, um die Tür ihres Gefängnisses zu öffnen. Und wenn die Tür erst einmal offen war – so dachte Jef zornig –, dann würden er und Mikey demjenigen, der sie geöffnet hatte, etwas zu sagen haben, bevor es ihm gelang, sie wieder einzuschließen.
Sie richteten sich aufs Warten ein. Jef sah sich den Haufen Lumpen in der Ecke an, aber sie waren so schmutzig, daß er sofort den Entschluß faßte, ihnen fernzubleiben. Er und Mikey machten es sich auf dem Fußboden unter dem offenen Fenster bequem. So kamen sie hin und wieder in den Genuß ein schwachen Brise, die die dicke Luft drinnen zerteilte.
Glücklicherweise hatte Jef immer noch seinen Rucksack und die darin befindlichen Rationen. Er teilte etwas Essen und Wasser mit Mikey, doch war er vorsichtig genug, nicht mehr als ein bißchen von dem Wasser zu verbrauchen. Es ließ sich nicht vorhersagen, wie lange sie von dem leben mußten, was er im Rucksack hatte …
Ein von fern herübertönender schwirrender Laut riß ihn aus seinen Gedanken. Das Geräusch wurde sehr schnell lauter. Jef stellte sich auf die Füße und trat an das offene Fenster.
Das Geräusch wurde von einem Luftfahrzeug mit Zweistromtriebwerk verursacht – der Art von Luftfahrzeug, von der der Konnetabel ihm gesagt hatte, das Gesetz verbiete es, daß es von Everon-Stadt bis hierher fliege. Jef verrenkte sich den Hals, um durch das Fenster nach oben zu sehen, aber er konnte die Maschine nicht entdecken. Dann geriet sie plötzlich in seinen Sichtbereich, indem sie sich senkrecht nach unten auf das Moosgras zwischen dem Gebäude, in dem Jef gefangen war, und dem nächsten niederließ. Eine Sekunde lang dachte Jef, die Maschine sei gelandet, aber dann hob sie sich leicht wieder in die Höhe und schwebte nach rechts durch die Luft, bis er sie vom Fenster aus nicht mehr sehen konnte.
Jef hörte, wie das Zweistromtriebwerk abgestellt wurde. Wieder herrschte Stille, und in dem Spätnachmittag draußen klangen von neuem die normalen Geräusche auf. Aus dem Wald ringsum waren wieder die Rufe der Glockenvögel und anderer Tiere zu hören.
Jef machte sich auf weiteres Warten gefaßt. Die Zeit verging.
Draußen vor seinem Fenster war aus dem Nachmittag bereits Dämmerung geworden, die den unbeleuchteten Raum in tiefen Schatten tauchte, als Jef Schritte hörte, die sich ihm über den Korridor näherten.
Jef sprang auf. Die Tür öffnete sich, und Avery Armage trat in die
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