Die Herren von Everon
Gewohnheit zulegen, unter dem faden scheinigsten Vorwand seine Wut an anderen auszulassen …
16
Jef erwachte. Er war noch nie so erschöpft gewesen. Endlich ganz munter geworden, konnte er sich nicht mehr klar an die Ereignisse nach dem Augenblick erinnern, als er auf so lächerliche Weise selbstzufrieden entdeckt hatte, daß er die Beherrschung verlieren konnte wie jeder andere auch. Danach gab es für ihn nichts anderes mehr als ein dunkles Tal des tiefen Schlafes, unterbrochen nur durch ein paar kurze, undeutliche Perioden, in denen er aus Gründen der Notwendigkeit erwacht war und man ihm aus seinem Schlafsack und wieder hinein geholfen hatte. Aber das waren insgesamt nur Minuten gewesen.
Inzwischen war Zeit vergangen – mindestens ein Tag und noch eine Nacht –, und die Welt rings um ihn hatte geduldig gewartet. Martin und Jarji hatten sich um das Lager geküm mert und ihn gelegentlich dazu gebracht, irgendeine Suppe oder ein heißes Getränk zu schlucken, das aus Everon-Kräutern bereitet war. Mikey hatte am Feuer gelegen, als halte er Wache, die Tatzen überkreuzt, den Hals aufgerichtet und den blinden Kopf Jef zugewandt. Wann immer Jef wach genug wurde, um es zur Kenntnis zu nehmen, hatte er ihn in dieser Haltung gesehen. Es war gerade so, als habe das ganze Universum um Jef eine Pause gemacht und darauf gewartet, daß er aufwachte und seinen Platz darin wieder einnahm.
Er war noch nie so erschöpft gewesen. Ihm war, als hätten sich seine Knochen aufgelöst und eine große Leere sei an die Stelle seiner normalen inneren Organe getreten. Er war so schwach wie ein frischgeschlüpfter Sperling. Und doch … jetzt, da dies alles hinter ihm lag, fühlte er sich im Frieden, fühlte sich bereichert. Das Gefühl wärmte ihn, beinahe so, als habe er sich mit Wissen wie mit einer guten Mahlzeit vollgestopft und verdaue es nun mit Fleiß, wobei er jetzt erst herausfand, was er eigentlich zu sich genommen hatte.
Er war sich im klaren darüber, daß das Wissen, das er erworben hatte, mehr war, als sein Bewußtsein verarbeiten konnte. Er war einer großen Menge an mehr Informationen ausgesetzt gewesen, als er identifizieren oder einem anderen Menschen hätte erklären können. Er konnte spüren, wie es gegen sein Bewußtsein drückte. Aber im Augenblick verstand er nur im allerbegrenztesten Maße, was es zu bedeuten hatte.
Nun war er wach, lag da und beobachtete Mikey und die beiden anderen, die sich im Lager zu schaffen machten. Das Gefühl der Leichtigkeit im Kopf, das von seiner eben erst überstandenen Schwäche herrührte, war bestimmt nicht normal, sagte er zu sich selbst, aber er genoß es von Herzen, nur dazuliegen und den anderen zuzusehen. Es war, als sei ihr Hantieren Teil eines verwickelten Balletts, das allein zu seinem Vergnügen aufgeführt wurde.
Martin richtete den Blick auf ihn und sah, daß Jef ihn beobachtete.
„Da sind Sie ja wieder, Herr Robini – Jef.“ Er kam herbei und setzte sich mit untergeschlagenen Beinen Jef in einem Schlafsack gegenüber.
Jef musterte ihn für einen langen Augenblick.
„Ja“, sagte Jef. Seine Stimme drang ein wenig rostig aus seiner Kehle, aber das Sprechen gelang ihm ganz gut. „Und da wir gerade davon reden, daß ich hier bin – was tun Sie und Jarji an dieser Stelle?“
Jarji, die ihre Stimmen hörte, gesellte sich zu ihnen. Eine Sekunde lang sah sie auf sie hinab, und dann setzte sie sich beinahe widerstrebend ebenfalls auf den Boden.
„Du bist wieder ganz da?“ erkundigte sie sich bei Jef.
„Ja. Danke“, antwortete er.
Sie sah ein bißchen aus der Fassung gebracht aus.
„Niemand hat irgend etwas Besonderes für dich getan.“ Aber ihre Stimme klang wesentlich freundlicher, als man aus ihren Worten hätte ableiten können.
„Es wundert mich nicht, daß Mikey imstande war, euch zu finden“, sagte Jef zu beiden. „Aber wie seid ihr hierhergekommen? Und was tut ihr zusammen?“
„Also wirklich“, protestierte Martin. „Gibt es ein Gesetz, daß wir nicht zur gleichen Zeit am gleichen Ort sein dürfen?“
„Laß ihn“, sagte Jarji zu Jef. „Wir sind zusammen, weil ich mit ihm zusammen aus Beaus Lager weggeflogen bin.“
„So ist es. Von mir geplant war das allerdings nicht“, fiel Martin ein. „Ich kam zu meinem Flieger, und sie war bereits drinnen und wartete auf mich.“
„Aber ich dachte, du wärest in der Unterkunft gewesen …“
Jef starrte sie an.
Jarji schnaubte.
„Hast du gemeint, ich würde einfach dasitzen
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