Die Herren von Hermiston
Kummer und die Sorge dieses uneigennützigen Freundes festere Gestalt an. Er fing an, im Vertrauen, unter vier Augen, unklar von allerlei schlechten und gemeinen Gewohnheiten Archies zu sprechen. »Ich muß sagen, ich fürchte tatsächlich, daß er völlig auf Abwege geraten ist«, meinte er alsdann. »Ich sag' es Ihnen offen heraus und ganz unter uns: Ich mag eigentlich nicht länger hier bleiben; aber verstehen Sie, ich fürchte mich einfach, ihn allein zu lassen. Mir wird man natürlich später die ganze Schuld in die Schuhe schieben. Ich bringe ein großes Opfer, wenn ich bleibe. Ich schade meiner Karriere als Advokat: dagegen kann ich meine Augen nun mal nicht verschließen. Ich fürchte wirklich, ich werde noch von allen Seiten Fußtritte bekommen, ehe die Sache vorbei ist. Sehen Sie, keiner glaubt ja heutzutage noch an Freundschaft.«
»Ja, Innes, das ist aber kolossal anständig von Ihnen«, pflegte der Fragesteller dann zu erwidern. »Ich muß schon sagen, wenn man je was gegen Sie vorbringt, können Sie natürlich zum mindesten auf mich rechnen.«
»Ja«, fuhr Frank fort, »offen gestanden, man kann es nicht als angenehm bezeichnen. Er hat eine furchtbar ungehobelte Art; seines Vaters Sohn, verstehen Sie? Ich sag' ja nicht, daß er geradezu unhöflich ist – natürlich kann man nicht von mir erwarten, daß ich mir auch das noch bieten lasse –, aber er segelt schon hart an den Wind. Nein, angenehm ist es nicht; doch ich sage Ihnen, Mann, ich halte es auf mein Gewissen nicht für fair, ihn im Stich zu lassen. Verstehen Sie mich ja nicht falsch: ich sag' nicht, daß wirklich etwas nicht im Lote ist. Was ich sage, ist nur, daß mir die ganze Sache nicht gefällt.« Und er preßte den Arm seines jeweiligen Vertrauten.
Ich bin überzeugt, daß er anfänglich nichts Böses beabsichtigte. Er redete lediglich um des Vergnügens willen, sich reden zu hören. Er besaß von Natur eine flinke Zunge, wie sich das für einen jungen Advokaten schickt, und nahm es ebenso natürlich mit der Wahrheit nicht sehr genau – was das Zeichen eines jungen Esels ist. So redete er drauflos. Einen besonderen Zweck verfolgte er dabei nicht, außer dem allgemeinen, ihm angeborenen, sich selbst zu schmeicheln und dem Freund des Augenblicks zu gefallen und ihn zu interessieren. Und dank dieser Gewohnheit, Wind zu dreschen, baute er allmählich von Archie ein Bild auf, das in allen Winkeln und Ecken des Landes bekannt und beredet wurde. Wo immer ein Herrenhaus inmitten seines ummauerten Gartens lag, wo immer ein zwergenhaftes Schloß in seinem Parke sich erhob, wo immer ein vierfach vergrößertes Cottage neben einem alten Wachtturm den Niedergang einer alten Familie anzeigte oder eine stattliche Villa mit Wagenauffahrtund Strauchwerk den Aufschwung einer neuen – auf den Rädern der Maschine vermutlich –, da wurde Archie im Licht eines düsteren, vielleicht gar lasterhaften Geheimnisses betrachtet und die weitere Entwicklung seiner Laufbahn mit Unruhe und vertraulichem Geraune erwartet. »Er hat irgend etwas Unehrenhaftes begangen, meine Liebe! Was, ist nicht ganz klar, aber jener reizende, freundliche junge Mann, Mr. Innes, hat sein Bestes getan, es auf die leichte Achsel zu nehmen.« Das war es nun einmal. Und Mr. Innes machte sich um ihn jetzt große Sorgen. »Er ist wirklich ganz beunruhigt, mein Bester; er ruiniert sich tatsächlich seine Laufbahn, weil er es nicht wagt, ihn allein zu lassen.« Wie restlos sind wir alle doch einem einzigen Schwätzer ausgeliefert, der nicht einmal bösen Willens zu sein braucht! Wenn ein Mann nur im richtigen Geiste von sich selbst redet und seine Tugenden beiläufig erwähnt, ohne sie je als Tugend zu bezeichnen, wie leichtfertig wird dann sein Zeugnis im Gerichtssaal der öffentlichen Meinung angenommen!
Während dieser ganzen Zeit gärte ein noch giftigeres Ferment zwischen diesen beiden jungen Burschen, eines, das erst spät an die Oberfläche gekommen war, das ihre Unstimmigkeiten jedoch von Anfang an beeinflußt und vergrößert hatte. Für einen müßigen, oberflächlichen, leichtlebigen Kunden wie Frank bot die Witterung eines Geheimnisses einen besonderen Reiz. Es beschäftigte seinen Geist, wie ein neues Spielzeug ein Kind beschäftigt, und es packte ihn an seiner schwachen Seite; denn wie viele junge Männer, die sich den Anwaltsberuf gewählt haben, schmeichelte er sich selber, bevor er noch gewogen und zuleicht befunden war, daß er ein besonders rasches Auffassungsvermögen
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