Die Herrin der Kathedrale
hatten, trotz ihrer anhaltenden Sorge um das ewige Seelenheil, neuen Mut gefasst. Es war dieser politische und gesellschaftliche Hintergrund, der uns dazu brachte, Utas Streben nach Selbstverwirklichung und das Verfolgen eigener Ziele als durchaus realistisch einzuschätzen und in seiner Entwicklung herauszuarbeiten. Zudem wollten wir der besonderen Mystik romanischer Sakralbauten einen Platz einräumen.
Nun zu geschichtlichen Fakten und Fiktion im Roman. Vermutet wird, dass die historische Uta um das Jahr 1000 herum geboren wurde. Als gesichert gelten kaum mehr als die folgenden vier Punkte:
1. Uta war mit dem Markgrafen Ekkehard von Meißen vermählt.
2. Die Ehe von Uta und Ekkehard blieb kinderlos.
3. Uta starb an einem 23. Oktober.
4. Als Erbe des Ekkehardiner Vermögens hatte Gatte Ekkehard Kaiser Heinrich III . eingesetzt, der das Vermögen an die Kirche übergab.
Insgesamt stellte die überschaubare Anzahl an historischen Fakten eine wunderbare Ausgangslage für uns dar (Sachbuchautoren mögen uns dies verzeihen), weil sie unserer Fantasie viel Raum ließ. Um einen historisch realistischen Werdegang zu erzählen, waren uns Anhaltspunkte aus Utas familiärem Umfeld hilfreich: Überliefert ist zum Beispiel, dass Utas jüngere Schwester Hazecha lange Zeit im Stift Gernrode verbrachte und Äbtissin desselbigen wurde. Es ist daher durchaus vorstellbar, dass die historische Uta vor ihrer Verheiratung ebenfalls einige Jahre dort gelebt haben könnte. Im Mittelalter war es üblich, adlige Töchter, die für die Ehe bestimmt waren, im Kloster erziehen zu lassen. Damenstifte wie Gernrode und Quedlinburg nahmen dabei eine ganz besondere Rolle ein: Sie boten Frauen beste und größtenteils von der Männerwelt unabhängige Karrieremöglichkeiten, denn die Machtfülle einer Äbtissin kam der eines Fürsten oder sogar eines Landesherrn oftmals gleich. Insgesamt war das Kloster im Mittelalter für unverheiratete Frauen eine attraktive, alternative Lebensform. Es bot Ruhe und Gelehrsamkeit und zudem die Möglichkeit, seine Lebensansprüche enorm heraufzusetzen. Der Ehealltag hingegen wurde von Unterwerfung, Gebärzwang und Willkür bestimmt.
Nach dem Gernroder Stift gelangte unsere Roman-Uta an den Hof von Konrad und Gisela – dem späteren Kaiserpaar. Auch dieser Lebensabschnitt könnte durchaus der Wahrheit entsprechen, denn wahrscheinlich war die erste Ehefrau Esikos von Ballenstedt, Mathilde, eine Vollschwester Kaiserin Giselas. Wenn nicht über Utas besondere Kombinationsgabe für die Zählweise von Nah-Ehen, so kann sie also zumindest über die genannte verwandtschaftliche Beziehung zur Kaiserin an deren Hof gelangt sein.
Vermutlich starb die historische Uta vor ihrem Gatten. Hinweise darauf liefert die Nachlassregelung, in welcher Ekkehard Uta nicht als Erbin einsetzte, was, hätte Uta zu diesem Zeitpunkt noch gelebt, zumindest äußerst ungewöhnlich gewesen wäre. Einen Anhaltspunkt für ihr Todesjahr könnte das Jahr 1043 liefern, in dem Hazecha unter königlicher Fürsprache in Gernrode zur Äbtissin ernannt wurde. Vorstellbar ist, dass Uta in eben jenem Jahr verstorben ist und ihr Heiratsgut dem Kloster in Gernrode mit der Bitte stiftete, Hazecha zur Äbtissin zu befördern. Den Werdegang von Utas jüngerer Schwester haben wir im Roman aus dramaturgischen Gründen (wenn auch schweren Herzens) modifiziert. Wahrscheinlich überlebte Hazecha im wahren Leben ihre ältere Schwester und nicht umgekehrt.
Die Ehe von Uta und Ekkehard blieb kinderlos. Das ist ebenso verbürgt wie Ekkehards rauhbeiniges Wesen. In der Chronik des Thietmar von Merseburg (über der wir unsere Roman-Uta in Vercelli einnicken lassen) wird er verdächtigt, seinen Schwager Dietrich von Wettin ermordet zu haben. Politisch war Ekkehard in den späten Jahren wohl erfolgreicher als sein Bruder Hermann. Heinrich III ., der seinem Vater Kaiser Konrad II . im Jahre 1046 auf den Kaiserthron folgte, nannte Ekkehard in einer Urkunde einen seiner Treuesten, dem er keine Bitte abschlagen konnte.
Anhand von Urkunden ist außerdem belegt, dass die Brüder Hermann und Ekkehard von Naumburg politisch häufig gemeinsam auftraten. Brüderliche Konflikte, wie sie bei mittelalterlichen Geschwistern regelmäßig dann auftraten, wenn es um Erbangelegenheiten ging, sind zwischen ihnen nicht überliefert. Da Hermann vier Jahre älter als Ekkehard war, könnte er nach dem frühen Tod ihres Vaters im Jahre 1002 (Ekkehard war damals gerade siebzehn Jahre)
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