1118 - Zwischen Himmel und Hölle
Nichts war mehr von ihrer üblichen Freundlichkeit und Lockerheit zu erkennen, sie hatte sich völlig verändert. So kannte Jane Collins ihre ältere Freundin, bei der sie wohnte, nicht. Und sie musste sich erst damit zurechtfinden, dass dies alles auch in der völlig normalen Umgebung im Haus passierte, in der kleinen Küche, nicht weit von der Eingangstür entfernt.
Jane hatte sie betreten, um sich eine Dose Wasser aus dem Kühlschrank zu holen. Die Dose hielt sie noch in der Hand. Sie war von einem feuchten Film überzogen, und die Detektivin wunderte sich, dass sie ihr noch nicht aus der Hand gerutscht war.
Zuerst hatte sie sich einfach nur über das Auftauchen der Horror-Oma erschreckt. Dann jedoch hatte sie gesehen, dass Sarah Goldwyn nicht scherzte. Dazu reichte einfach ein Blick in das Gesicht, und jetzt, als in Sekunden soviel durch ihren Kopf huschte, fragte sie sich, wie es zu dieser Veränderung hatte kommen können.
Es gab einen Grund. Jane Collins kannte ihn auch, wenn sie ehrlich genug war.
Der Grund hieß Vernon Taske. Unter diesem Namen war er geboren worden. Er hatte sich ein Pseudonym zugelegt. Jetzt nannte er sich Veritas, er arbeitete als Hellseher mit großem Erfolg. Er hatte Lady Sarah so verändert, und das gleiche wäre ihm beinahe auch mit Jane gelungen, die Taske auf Bitten ihres Freundes John Sinclair besucht hatte. Aber bei ihr war es nicht gelungen; die wenigen Hexenkräfte, die noch in ihr schlummerten, hatten sie davor geschützt. [1]
Trotzdem hatte Jane erleben müssen, wie gefährlich dieser Mann war, der sich auch Herr über Leben und Tod nannte. Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, das Sinclair-Team aus der Welt zu schaffen, weil ihm die Personen in die Quere gekommen waren.
Der erste Schreck hatte sich gelegt. Jane konnte wieder tief durchatmen. Es gelang ihr sogar, ein Lächeln zu zeigen. Sie wollte dadurch die Lage entspannen.
Lady Sarah gehörte zu den Menschen, die mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Tatsachen standen, und sie hatte verdammt oft bewiesen, auf welcher Seite sie stand. Das war in diesen Augenblicken alles vergessen. Um das zu erfahren, brauchte Jane nur in das Gesicht der älteren Frau zu schauen. Diese Kälte, diese Fremde, diese Verbissenheit und auch die Entschlossenheit, es durchzuziehen bis zum bitteren Ende.
Sarah als Mörderin?
Im Leben war alles vorstellbar. Da konnte sich von einem Moment auf den anderen alles umkehren. Was gestern noch einer Regel entsprochen hatte, war heute nichts mehr wert. Genau so musste Jane es auch bei Lady Sarah sehen. Man hatte sie manipuliert.
Jane Collins merkte, wie der Eisschauer an ihrem Rücken entlang nach unten sickerte. Es hing nicht nur damit zusammen, dass man sie mit der Waffe bedrohte, vielmehr war sie über Sarahs Verhalten entsetzt. Und sie gab zu, zu spät gekommen zu sein. Sie hatte sich von John Sinclair und Suko getrennt, um schon mal vorzufahren, weil sie das ungute Gefühl nicht mehr hatte kontrollieren können.
Es war gut gewesen, aber sie hätte nicht gedacht, in Lebensgefahr zu geraten. Und sie hatte auch nicht damit gerechnet, dass Vernon Taske so schnell war.
»Bitte«, sagte sie mit leiser Stimme. »Wir sollten über alles reden, Sarah. Aber nicht hier und auch nicht mit einer Waffe. Lass uns woanders hingehen. Wir setzen uns zusammen, und dann kannst du mir alles erzählen.«
»Nein!«
»Warum nicht?«
»Ich will es nicht. Ich gehe einen an deren Weg. Ich habe mich entschlossen, und dabei bleibt es.«
Das hatte Jane Collins befürchtet. Es war ihr nicht möglich, gegen den Einfluss des Hellsehers anzukämpfen. Der hatte die Horror-Oma voll unter seine Kontrolle gebracht und es damit geschafft, einen Teil seines Plans in die Tat umzusetzen.
»Hast du dir das genau überlegt?«
»Habe ich!«
Auch ihre Stimme hatte sich verändert, dachte Jane. Da war nichts Verbindliches mehr zu hören. Sie hatte hart und fremd geklungen.
Brutal, abweisend, so dass Jane das Schlimmste befürchtete. Dieser Hellseher musste einen wahnsinnigen Einfluss auf Lady Sarah gehabt haben, und dabei war sie immer so stark gewesen. Sie hatte es geschafft, Jane Mut zu machen, wenn es der Detektivin schlecht ging. Jetzt waren die Vorzeichen umgekehrt, aber Jane brachte es noch nicht fertig, dieältere Freundin wieder auf ihre Seite zu ziehen.
»Willst du wirklich schießen?« fragte sie leise.
»Ich muss es!«
»Und dann?«
»Ich werde schießen!« erklärte sie stereotyp, was Jane wieder daran
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