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Die Herrin der Pyramiden

Die Herrin der Pyramiden

Titel: Die Herrin der Pyramiden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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verführerischer Duft von geröstetem Lotussamen stieg mir in die Nase. Ich hatte Hunger – unsere Vorräte waren von der langen Reise den Fluss hinab aufgebraucht –, und so führte mich mein Vater zum Markt in der Nähe des Hafens.
    Feldbauern und Obsthändler hatten ihre Früchte auf bunten Tüchern ausgebreitet: Melonen, Granatäpfel, Guaven und Nüsse, aber auch Bohnen, Erbsen, Zwiebeln und Spinat. Ein paar Schritte weiter wurden geschlachtete Enten, Pelikane und ausgenommene Wachteln verkauft.
    Ich zog meinen Vater hinter mir her zum Stand eines Fischverkäufers: »Sieh mal, Dede: Hier werden sogar die Fische einbalsamiert!«, rief ich vergnügt.
    Mein Vater lachte und kaufte mir den Tonfisch. Für den Kupfer-Deben, den der Händler auf die Waage legte, erhielt er einen Fisch und drei kleinere Barren.
    Der Tonfisch war eine Hülle aus getrocknetem, hartem Flussschlamm, in der ein gesalzener Fisch steckte. Ich zerbrach das obere Ende und erschrak, als mir ein Fisch entgegenblickte.
    Mein Vater zog den Kopf mitsamt den Gräten heraus.
    Der Fisch schmeckte herrlich – noch nie zuvor hatte ich so etwas gegessen. Ich aß ihn auf und beachtete gar nicht, dass mein Vater sich kein Stück davon nahm.
    Der Duft von frischem Gerstenbrot lockte uns zu den Bäckern. Sie buken ihre Brote in flachen Tonschalen hinter gemauerten Lehmziegeltischen in der Asche ihrer Feuer. Wie ich später erfahren sollte, nannte man Kemet in den Fremdländern das Land der Brotesser.
    Vor jedem der Lehmziegelstände blieb ich stehen und betrachtete die Formen der Laibe: Manche waren als Ankh-Zeichen gebacken, als Zeichen des ewigen Lebens. Andere hatten die Form von Fischen, Nilpferden oder Vögeln. Am nächsten Backstand gab es heißes, frisches Fladenbrot mit Ziegenquark und frischen Kräutern. Mein Vater kaufte für jeden von uns einen Fladen, den wir noch heiß verspeisten. Wie köstlich es schmeckte!
    Auf der anderen Seite des Marktes sahen wir Händler, die duftige Leinenkleider und große weiße Tücher für Lendenschurze verkauften. Noch nie hatte ich so zarten, durchscheinenden Stoff gesehen, weißer als die Wolken am Sommerhimmel.
    Der Händler sprach uns an: »Ihr wollt doch zur Krönung des Netjer, des Göttlichen, sicherlich nicht diese Fetzen tragen …« Er deutete auf unsere durch die lange Reise nicht mehr weiße Kleidung.
    »Wann wird der König den Thron besteigen?«, fragte mein Vater.
    »Seneferu wird morgen im Tempel des Ptah gekrönt. Denn morgen ist Neumond.« Er deutete zum Himmel empor: Der Mondgott Chons war nur noch eine schmale Sichel über dem Horizont. »Und seit dem Aufbruch seines Vaters Huni in den Schönen Westen sind siebzig Tage vergangen ...«
    Mein Vater zog mich weiter zu den Zuckerbäckern, die aus Mehl, Milch und Honig süße Kuchen herstellten. Als ich von dem Gebäck probieren wollte, nahm er meine Hand. »Es ist genug jetzt! Wir müssen sparsam sein, denn wir haben nicht viel Kupfer.«
    Ich kannte den Wert des Metalls noch nicht, das er bei sich trug, aber er gab mir zu verstehen, dass durch die Schiffsreise von unserem Dorf bei der Stadt Tis nach Mempi mehr als die Hälfte unserer Ersparnisse aufgebraucht worden seien. Und wenn wir nicht in einigen Tagen hungern wollten, müssten wir uns auf das Notwendige beschränken. Er war traurig, dass er mir meinen Wunsch abschlagen musste.
    Aber wenn bereits über die Hälfte des Kupfers ausgegeben war, dann blieb nicht mehr genug, um mit dem Schiff nach Hause zurückzufahren!
    Schweigend gingen wir über den Markt und betrachteten die Verkaufsstände der Handwerker. Kinderspielzeug wurde angeboten, kleine Puppen mit beweglichen Köpfen, geschnitzte Tiere, Bauklötze aus getrocknetem Schlamm, mit denen kleine Bauwerke errichtet werden konnten, Kreisel aus Holz und Bälle aus genähtem Leder. Fasziniert blieb ich an jedem Stand stehen und besah mir alles genau: Dinge, die ich nie besessen hatte und niemals besitzen würde.
    Wir waren arm! Diese Erkenntnis schmerzte: Ich würde mir all diese schönen Dinge niemals leisten können. In unserem Dorf war mein Vater ein angesehener Bewohner. Er besaß ein Gemüsefeld mit Zwiebeln, Bohnen und Spinat. Doch hier, in der Stadt, hatte ich das Gefühl, nichts wert zu sein.
    »Was bedeutet es, arm zu sein?«, fragte ich ihn.
    »Es bedeutet nichts.«
    Die Mehrdeutigkeit seiner Worte entging mir nicht.
     
     
    »Heute beginnt eine neue Zeitrechnung!«, erklärte mir mein Vater am nächsten Morgen. »Wir schreiben nun

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