Die Herrin des Labyrints
einem sonnigen Freitag im Juli erledigt hatte, fühlte ich mich seit langer, langer Zeit wieder ein bisschen leichter und freier, ohne dass ich mir so recht im Klaren darüber war, was dieses Gefühl auslöste. Denn die Probleme, die vor mir lagen, konnte man nicht eben als übersichtlich bezeichnen.
Zum wiederholten Mal setzte ich mich mit den wenigen Unterlagen, die ich von Gita erhalten hatte, in den Schatten auf der Terrasse und blätterte sie noch einmal durch. Die Mappe enthielt einige Schreiben von Josiane und den Bericht einer Detektei. Beide halfen mir nicht besonders weiter. Es war von Menschen und Orten die Rede, die ich nicht kannte. Sie stammten alle aus einer Zeit, die mehr oder weniger um meine Geburt herum lag. Vor rund dreiunddreißig Jahren war Josiane von zu Hause fortgegangen, offensichtlich mit einem Mann, der nicht die Zustimmung ihrer Eltern gefunden hatte. Zu dieser Zeit war sie Anfang zwanzig gewesen und hatte sich eindeutig nach mehr oder besser nach einer anderen Form der Freiheit gesehnt als der, die man ihr zu geben bereit war. Das alleine erschien mir nicht besonders ungewöhnlich, damals waren viele junge Menschen aus der bestehenden Ordnung ausgebrochen. Ich hatte ebenfalls nicht vergessen, dass auch ich, als ich in Josianes Alter war, einige drastische Schritte unternommen hatte, um mich von meinem Elternhaus loszulösen. Interessant war nur, dass Gitas Tochter sich mit reichlich Abenteuerlust ins Ausland begeben hatte. Sieverschwieg in ihren Briefen zwar jede Adresse, aber man konnte ihren Weg über Südfrankreich, Italien, Marokko bis nach Ägypten verfolgen. Doch diese Reise absolvierte sie nicht wie andere junge Abenteurer mit Rucksack, Zelt und Schlafsack, sondern offensichtlich im Abendkleid und in teuren Wagen. Irgendwann änderte sich der Name ihres Begleiters, nicht aber die Umstände. Zwei Jahre lang hatte sie zwar nicht oft, aber einigermaßen regelmäßig geschrieben, dann hörten die Briefe nach und nach auf, bis lange Zeit überhaupt keine Nachricht mehr eingetroffen war. Erst weitere fünf Jahre später datierte ein Schreiben, das von Josianes Tod berichtete. Es stammte von einem Heinrich Vanderhorst, der nach eigenen Angaben beinahe zwei Jahre gebraucht hatte, um Josianes Familie ausfindig zu machen.
»Baba, kann ich die Melone haben, die im Kühlschrank liegt?«
Patrick war nach Hause gekommen, und klappernd flog die Tasche mit den Tischtennisschlägern in den Flur.
»Natürlich, dafür habe ich sie mitgebracht«, rief ich ins Haus. Ich schloss die Mappe mit den Briefen, als Patrick mit einem Viertel Wassermelone schlürfend und tropfend auf dem Gartenstuhl neben mir Platz nahm.
»Das ist von Gita, nicht? Steht da eigentlich was Wichtiges drin?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Bislang kann ich noch nicht viel damit anfangen.«
»Aber du wirst doch diese Tochter suchen, oder? Ich glaube, Gita war das ziemlich wichtig.«
»Ja, das war es wohl.«
Ich überlegte einen Moment. Mit Ulli hatte ich zwar über meine Veränderungswünsche gesprochen, Patrick hatte ich aber bislang noch nicht eingeweiht. Irgendwie hatte ich den Mut dazu noch nicht gefunden. Mag sein, dass mir Ullis Meinung weniger wichtig war als die meines Sohnes, und deshalb hatte ich wohl zunächst Fakten schaffen wollen.
»Patrick, ab September werde ich auch wieder die Schulbank drücken! Wie findest du das?«, fing ich vorsichtig an.
»Ernsthaft? Was lernst du?«
»Ich schreibe meine Diplomarbeit und versuche, meinen Abschluss zu machen.«
»Stark, Mann! Über welches Thema?«
»Am liebsten über einen Bereich der Altenhilfe.«
»Bäh. Hättest du nicht besser Maschinenbau oder Informatik oder so was studieren können? Ich meine, das ist doch viel spannender.«
»Tut mir leid, Patrick, aber ich fürchte, meine Begabung lässt auf dem Gebiet etwas zu wünschen übrig. Außerdem würdest du mir dann sowieso ständig Löcher in den Bauch fragen.«
»Das tät dem gar nicht schaden«, kicherte er, und ich zog prompt mein T-Shirt etwas weiter nach unten. Da waren nun mal diese zehn rundlichen Kilo versteckt, die loszuwerden eine Askese bedeuteten, zu der ich mich einfach nicht aufraffen konnte.
»Bleib sachlich, Junior!«, mahnte ich ihn, und er wurde wieder ernst.
»Gut, du schreibst also darüber. Bleiben wir hier in der Stadt, oder müssen wir umziehen?«
»Nein, wir müssen nicht umziehen.«
»Prima, denn ich wollte im Herbst bei den Meisterschaftsspielen mitmachen. Und wie machst du
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