Die Herrin des Labyrints
Gestalt, die Frau in Schwarz, die sie fortzerrte von der Stätte, an der sie geliebt worden war.
Dunkelheit umgab sie lange Zeit, wirre Bilder vernebelten ihre Sinne, und der Geruch der Angst umhüllte sie, bis die Klauen der Finsternis sie endlich freigaben. Aber selbst da blieb das Gefühl von Kälte und Einsamkeit zurück, und nichts war mehr, wie es vorher gewesen war. Darum entzog die Göttin der Welt ihre Gunst. Versunken in ihrer Sehnsucht an die Zeit vor den Zeiten begehrte sie nichts anderes mehr, als dorthin zurückzukehren. Und so, träumend und suchend, erkannte sie schließlich, dass ihr nur ein Weg offen stand, ihren Geliebten wiederzusehen. Sie musste die Welt der Sterblichen verlassen. Das war ihr nur recht, denn die Menschen waren ihr derzeit reichlich zuwider. Doch wie das funktionieren sollte, dazu fand sie keinen Rat in ihren Träumen. Eine Weile schmollte sie vor sich hin, aber schließlich sah sie ein, dass es durch Herumsitzen und Warten auch nicht getan war. Sie beschloss, andere Göttinnen um Hilfe zu bitten.
KAPITEL 7
Familienverhältnisse
»Schöne Arme machen! Schöne Hände! Drehen, drehen, Hüftkreis!«
Kerstin wiederholte vermutlich zum hundertsten Mal die Schrittfolge, und wir sechs Frauen bemühten uns, einigermaßen synchron die Bewegungen durchzuführen. In der Spiegelwand sah ich mich dick und dünn, dann lang und wieder kurz werden. Die Bedingungen in dem Übungsraum der Volkshochschule waren nicht optimal. Die Spiegel wellten sich, die Beleuchtung war trübe, der mit braunen Teppichfliesen belegte Boden hatte Stolperstellen und gehörte dringend erneuert. Aber so war das nun mal. Seit zwei Jahren besuchte ich diesen Kurs. Nicole hatte mich dazu überredet, als ich mit Gitas Pflege angefangen und über Rückenschmerzen geklagt hatte.
»Gegen Rückenschmerzen gibt es nichts Besseres als Bauchtanz. Ich liebe es! Komm doch mal mit. Ich habe schon drei Stunden mitgemacht, und es ist einfach genial!«
An Nikkis theatralische Adjektive war ich damals noch nicht gewöhnt, auch nicht an ihre überschäumende Begeisterung, die sie kurzfristig an den Tag legen konnte. Sie überrollte mich förmlich und schleppte mich schließlich in den Kurs mit, weil mir einfach keine Ausrede mehr einfiel, die glaubwürdig genug war. Den wahren Grund, warum ich mich davor fürchtete zu tanzen, wollte ich ihr allerdings nicht verraten.
Allerdings bemerkte ich schon in den ersten Minuten des Unterrichts bei Kerstin, dass meine Angst hier unbegründet war. Es war eine reine Anfängergruppe, und daher legte sie mehr Wert darauf, uns einzelne Isolationsübungen trainieren zu lassen, als wirklich zu tanzen. Ich fand es ganz erheiternd, ließ die unterschiedlichsten Körperteile kreisen, zog Schleifen und Achten mit den Hüften und ließ den Oberkörper und den Kopf gleiten. Meine Rückenschmerzen besserten sich wirklich, aber das hättensie vermutlich auch getan, wenn ich zur Hausfrauengymnastik gegangen wäre.
»Nicole, nur die Arme bewegen, nicht den Po«, korrigierte Kerstin meine Freundin – auch dies sicher zum tausendsten Mal, denn trotz ihrer an den Tag gelegten Begeisterung war Nicole eine ziemlich undisziplinierte Tänzerin.
Während Kerstin versuchte, bei den anderen die Haltungsfehler auszumerzen, sah ich mir selbst meine Bewegungen an. Das machte ich nicht sehr oft, denn nicht nur die Zerrwirkung der Spiegel war nervend, sondern ich sah mich auch nicht gerne tanzen. Aber die pummelige Frau im Shirt, mit schwarzen Hosen und einem grünen Tuch um die Hüften, die ich jetzt so distanziert wie möglich betrachtete, machte ganz manierliche Kreise und Wellen. Nur meine Haare hatten sich wieder selbständig gemacht, und ich unterbrach kurz meine Übungen, um die widerspenstigen Locken mit der Haarspange zu befestigen. Es gibt Leute, die beneiden mich um die Naturkrause. Ich beneide diejenigen, die glatte, leicht zu entwirrende und frisierbare Haare haben. Das einzige wirklich Bemerkenswerte an meinem wirren Schopf ist die weiße Strähne, die sich von der linken Schläfe aus in einem dicken Strang durch die dunkelbraunen Locken zieht. Sie ist nicht gefärbt!
»Amanda, wenn du dich genug bewundert hast, können wir jetzt zum freien Tanz übergehen.«
»Wenn’s denn sein muss.«
Auch die anderen Teilnehmerinnen murrten, freier Tanz war nicht beliebt. Ich zog mich in eine schummerige Ecke zurück und bewegte mich zurückhaltend zu der akzentuierten Musik. Kerstin näherte sich mir mit wiegenden
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