Die Herrin von Avalon
den Schiffen hatte Carausius auch die meisten Männer ihrer Mannschaften verloren, und Constantius Chlorus zog Truppen zusammen, um in Britannien einzumarschieren.
Die Luft in Portus Adurni schien drückend zu sein, obwohl vom Meer ein frischer Wind wehte. Selbst wenn sie die Gerüchte nicht gekannt hätte, wäre Dierna aufgefallen, daß über der Festung eine dunkle Wolke hing. Noch herrschte nicht die Atmosphäre der Niederlage, doch die Ahnung des drohenden Unheils war beinahe mit Händen zu greifen. Bezeichnenderweise erhob der diensthabende Offizier keine Einwände, als sie darum bat, den Imperator zu sehen. Jeder hier schien zu wissen, daß Carausius in diesem kritischen Augenblick alle hilfreichen Kräfte brauchte - auch solche, die eine Priesterin zu bieten hatte.
Carausius beugte sich über einen großen Kartentisch, auf dem die Karte von Britannien ausgebreitet lag, und bewegte Holzfiguren hin und her, als berechne er Truppenbewegungen und Aufmarschzeiten. Beim Klang von Frauenschritten hob er erwartungsvoll den Kopf, aber sein Blick wurde leer, als er sah, wer es war.
»Herrin ... «, begrüßte er sie mit rauher Stimme. »Bist du gekommen, um mir Glück oder Unglück zu prophezeien?« Er trug einen Verband um eine Wade und hatte eine Platzwunde auf der Stirn.
Dierna zwang sich zu einem Lächeln.
»Weder noch. Ich bin gekommen, um dir zu helfen, wenn ich kann.«
Er runzelte nachdenklich die Stirn. »Du bist sehr schnell gereist, wenn du auf Avalon warst. Hat dir Teleri vielleicht eine Nachricht ... ?« Als sie den Kopf schüttelte, sah sie den Kummer in seinen Augen.
»Ist sie nicht bei dir?«
»Sie ist in Durnovaria bei ihrem Vater.«
Es entstand eine bedrückte Stille.
Dierna runzelte die Stirn. Aber sie konnte ihr Unbehagen nicht in Worte fassen, es war zu unbestimmt. Sie trat schließlich neben ihn und blickte auf die Karte.
»Wo wird Constantius deiner Meinung nach an Land gehen? Und in welcher Truppenstärke kannst du dich ihm entgegenstellen?«
»Sein erstes Ziel wird es sein, Londinium einzunehmen«, erwiderte Carausius. Es tat ihm sichtlich gut, daß er die Möglichkeit hatte, die Sache mit ihr zu besprechen. Es war eine Art des Handelns, und er gehörte nicht zu den Männern, die sich einfach in ihr Schicksal fügen.
»Er wird die Stadt vielleicht sofort angreifen. Aber wenn sie verteidigt wird, ist es schwierig für ihn, dort anzulegen. Deshalb wird Constantius möglicherweise versuchen, auf Tanatus zu landen und quer durch Cantium zu marschieren, obwohl ihm bekannt ist, daß man mich dort unterstützt. Ich an seiner Stelle würde es mit einer Zangenbewegung versuchen und mit einem zweiten Flottenteil an einer anderen Stelle landen, vielleicht zwischen hier und Clausentum. Dort befindet sich unsere zweite Münze, und es wäre klug, sie so bald wie möglich in Händen zu haben.«
Beim Sprechen schob er die bunten Figuren auf der Karte auf die angesprochenen Plätze. Dierna sah, als blicke sie in die heilige Quelle, Soldaten durch das Land marschieren. Sie schüttelte unwillig den Kopf, um sich von der ungebetenen Vision zu befreien, und konzentrierte sich auf die Karte.
»Ziehst du deine Truppen zusammen?«
»Allectus hält Londinium«, erwiderte er. »Ich habe alle Truppen von den Garnisonen am Wall nach Süden beordert, um die Kräfte in Londinium zu verstärken. Außerdem werde ich hier und in Venta mehr Männer stationieren. Wir müssen die Verteidigung auf die Städte konzentrieren. Abgesehen von den Marinestützpunkten haben wir im Süden keine Streitkräfte. Seit der Zeit des Claudius haben sich alle Kämpfe an der Küste und an der nördlichen Grenze abgespielt, und es bestand kein Anlaß, dort Festungen zu bauen. Du könntest mir helfen, wenn du nach Durnovaria reist und Fürst Eiddin Mynoc aufforderst, einen Reiterverband unter Führung seiner Söhne zusammenzustellen.«
»Aber Teleri ... «
»Teleri hat mich verlassen«, erwiderte er tonlos. »Du mußt mich nicht bedauern. Du weißt sehr wohl, daß unsere Ehe nur das Zeichen eines Bündnisses war.« Er lächelte bitter. »Ich bin immer noch auf das Bündnis angewiesen, und ich kann nicht von ihr erwarten, daß sie ihren Vater um Hilfe für mich bittet.«
Sein Gesicht blieb völlig ausdruckslos, ohne jedes Anzeichen von Gefühlen. Dierna wußte, das war bei ihm nur eine Tarnung, um zu verbergen, wie tief er verletzt war. Sie machte sich Vorwürfe. Sie hatte in dem guten Glauben gehandelt, für alle das Beste zu tun,
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