Die Herrschaft Der Seanchane
dich nicht für jeden Gedanken verpflichtet fühlen, Schwester.« Sie lachte, als wäre ihr plötzlich ein wunderbarer Witz klar geworden. »Auf diesem Weg liegt zu viel Stolz, und ich muss dann wegen allem, was du tust, übermäßigen Stolz zeigen, aber die Weisen Frauen werden dich dafür nicht zur Rechenschaft ziehen können.«
Nynaeve rollte demonstrativ mit den Augen, aber Aviendha schüttelte bloß den Kopf und nahm die Unwissenheit der anderen Frau mit resignierter Geduld auf. Sie hatte bei den Weisen Frauen mehr als nur den Umgang mit der Macht studiert.
»Nun, das können wir wirklich nicht zulassen, dass ihr beiden zu stolz seid«, sagte Birgitte mit einem Unterton, der verdächtig nach unterdrückter Heiterkeit klang. Ihr Gesicht war viel zu reglos, beinahe erstarrt vor Mühe, sich ein Lachen zu verkneifen.
Aviendha betrachtete Birgitte ausdruckslos und voller Vorsicht. Seit Elayne und sie einander adoptiert hatten, hatte auch Birgitte sie in gewisser Weise adoptiert. Nicht als Behüterin, das nicht, aber sie behandelte sie manchmal, als wäre sie ihre ältere Schwester, wie sie es oft bei Elayne tat. Aviendha wusste nicht genau, was sie davon halten sollte. Die Aufnahme in den kleinen Kreis, der wusste, wer Birgitte in Wirklichkeit war, hatte mit Sicherheit nicht geholfen. Sie schwankte zwischen wilder Entschlossenheit, allen zu zeigen, dass Birgitte Silberbogen sie nicht einschüchterte, und allen möglichen seltsamen Reaktionen bis hin zu überraschender Nachgiebigkeit.
Birgitte lächelte sie an, es war ein amüsiertes Lächeln, aber es verblasste, als sie ein kleines Bündel vom Schoß hochhob und es mit großer Vorsicht zu öffnen begann. Als sie schließlich einen Dolch mit einem lederumwickelten Griff und einer langen Klinge enthüllte, war ihre Miene ernst, und kontrollierter Zorn floss durch den Bund. Elayne erkannte das Messer auf der Stelle; zuletzt hatte sie seinen Zwilling in der Hand eines strohblonden Attentäters gesehen.
»Sie wollten dich nicht entführen, Schwester«, sagte Aviendha leise.
Birgittes Tonfall war grimmig. »Nachdem Mellar die Ersten beiden getötet hat - den Zweiten spießte er mit seinem Schwert auf, das er quer durch den Raum warf, wie in der Geschichte eines verdammten Spielmanns« - sie hielt den Dolch am Griff in die Höhe -»hat er den hier dem letzten Burschen abgenommen und ihn damit getötet. Sie hatten vier fast identische Dolche. Der hier ist vergiftet.«
»Diese braunen Flecken auf der Klinge sind grauer Fenchel, der mit gemahlenen Pfirsichkernen vermischt wurde«, sagte Nynaeve. Sie setzte sich auf die Bettkante und verzog angewidert das Gesicht. »Einen Blick in seine Augen und auf die Zunge und ich wusste, dass das den Kerl umgebracht hat und nicht das Messer.«
»Ein komplizierter Plan«, sagte Elayne einen Augenblick später leise. Diese Worte trafen es in der Tat. »Spaltwurzel, damit ich nicht nach der Macht greifen oder stehen konnte, und zwei Mann, die mich auf den Beinen halten, während der dritte mir einen vergifteten Dolch in den Leib stößt.«
»Feuchtländer lieben komplizierte Pläne«, sagte Aviendha. Sie bedachte Birgitte mit einem unbehaglichen Blick und fügte hinzu: »Zumindest einige von ihnen.«
»Auf seine Weise war er einfach«, sagte Birgitte und wickelte den Dolch wieder mit der gleichen Sorgfalt ein, die sie beim Auspacken gezeigt hatte. »Man konnte leicht an dich herankommen. Jeder weiß, dass du allein zu Mittag isst.« Ihr langer Zopf schaukelte, als sie den Kopf schüttelte. »Ein glücklicher Umstand, dass der Mann, der dich als Erster erreichte, keinen hiervon hatte; ein Schnitt, und du wärst tot gewesen. Ein glücklicher Umstand, dass Mellar zufällig vorbeiging und in deinen Gemächern einen Mann fluchen hörte. Genug Glück, um ein Ta'veren zu sein.«
Nynaeve schnaubte. »Ein Schnitt an deinem Arm, der tief genug gewesen wäre, und du wärst tot. Der Kern ist der giftigste Teil eines Pfirsichs. Dyelin hätte keine Chance gehabt, wären die anderen Dolche ebenfalls vergiftet gewesen.«
Elayne sah nacheinander in die ausdruckslosen Gesichter ihrer Freundinnen und seufzte. Ein sehr komplizierter Plan. Als wären Spione im Palast nicht schon schlimm genug. »Birgitte, eine kleine Leibwache«, sagte sie schließlich. »Etwas... Diskretes.« Sie hätte wissen sollen, dass die Frau vorbereitet sein würde. Birgittes Miene veränderte sich nicht im Mindesten, aber durch ihren Bund schoss ein winziges Aufflackern von
Weitere Kostenlose Bücher