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Der verbotene Kuss

Der verbotene Kuss

Titel: Der verbotene Kuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laini Taylor
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– EINS –
Verrückt vor Verlangen
    K izzys Familie lebte in einem Haus vor der Stadt mit Ambossen im Hof und einem von Zecken geplagten Ziegenbock, der jedes Mal den Zaun rammte, wann immer jemand vorbeiging. Der Postbote wagte sich nicht bis zur Haustür, was aber halb so schlimm war, da ihnen sowieso niemand Briefe schrieb. Sie bekamen nicht einmal Kreditkartenangebote oder Werbepost wie normale Leute.
    Denn Kizzys Familie war einfach nicht normal.
    Sie hatten keinen Fernseher, kannten dafür aber Hunderte Lieder – alle in einer Sprache, von der Kizzys Lehrer im Leben noch nicht gehört hatten –, und sie saßen auf wackligen Stühlen im Garten und sangen sie gemeinsam, mit klagenden Stimmen, als heulten Wölfe den Mond an. Es gab jede Menge blauäugiger, stark behaarter Onkel, die auf alten, wunderschönen Gitarren klimperten, und kräftig gebaute Tanten, die Blüten trockneten und diese in Pfeifen rauchten. Und es wimmelte nur so vor Cousins und Cousinen. Klein und flink wirbelten sie um die Röcke der Frauen herum oder wichen der Ziege aus wie Miniaturausgaben von Matadoren. Kizzys Mutter trug ein Kopftuch wie eine Bäuerin aus einem ausländischen Film, und ihr Vater hatte damals im Alten Land zwei Finger an einen Wolf verloren. Er hatte das Tier getötet, um sich die Finger zurückzuholen, und nun bewahrte er die Knochen in einem Beutelchen um den Hals auf, zusammen mit den Zähnen des Wolfes, der sie verschluckt hatte.
    Die Frauen der Familie trugen die Verantwortung für den Garten und die Männer jagten, was gerade Saison hatte (oder auch nicht). In ihren verstreuten, windschiefen Hütten taten sie Dinge, die den meisten Vorstadtkindern höchstens aus Dokumentarfilmen oder von kirchlichen Missionsreisen in Dritte-Welt-Länder bekannt waren – Dinge, bei denen Äxte zum Einsatz kamen und Innereien eine Rolle spielten und die ein Wissen darüber erforderten, wie man ein Tier in Fleisch verwandelt.
    Kizzy hasste das alles, und sie hasste sich deswegen auch ein bisschen selbst. Sie hasste Spiegel, hasste ihre Waden, hasste ihr Haar. Am liebsten wäre sie aus ihrem Leben ausgestiegen, als wäre es eine Muschel, die man am Strand zurücklassen kann, um einfach barfuß davonzugehen. Auf dem ganzen riesigen Halbkontinent von Nordamerika führte niemand ein derartig ödes Leben − dessen war sie sich sicher.
    Abgesehen von den Ambossen und der Ziege schlichen viele namenlose Katzen durch den Garten, es gab Hühner und einen Pfau, der »Notzucht!« schrie (wie Pfauen das nun einmal tun), und ein paar aufgebockte Autos. Geister kamen meilenweit aus der Umgebung, wisperten und bliesen Trübsal und suchten nach Nahrung, und manchmal schauten Fremde vorbei, die ihren ganzen Besitz in großen, verbeulten Autos umherfuhren und einige Tage lang blieben, Akkordeon spielten, selbst gebrannten Schnaps tranken und Balladen sangen, deren Texte niemals ein Blatt Papier gesehen hatten, sondern nur in ihren schnarrenden Stimmen fortexistierten. Kizzy mochte die Geister, die Fremden jedoch nicht, weil ihr Vater dann immer verlangte, dass sie ihnen ihr Zimmer überließ, und anschließend stank es nach Schweißfüßen.
    Sie war sechzehn, clever, aber wenig begeisterungsfähig, und sie besuchte die Unterstufe einer öffentlichen Highschool, die sie die Sankt-Pockennarbe-Oberschule für Kannibalen nannte.
    Sankt Pockennarbe war Kizzys Spitzname für den aknevernarbten Direktor, der keine Gelegenheit ausließ, von seiner Zeit als Missionar auf Borneo zu erzählen, wo er zwischen Kannibalen als junger Mann im Dienste des Herrn unter Parasiten und Pilzbefall gelitten hatte. Seine dünnen Lippen wurden stets noch schmaler, wenn man Kizzy in sein Büro schickte, weil sie wieder einmal die Schule geschwänzt hatte, und sie machte sich einen Spaß daraus, religiöse Feiertage zu erfinden, um ihr Fehlen zu entschuldigen. Sie wusste, der Direktor würde eher nachgeben und ihre Geschichten akzeptieren, als bei ihren Eltern anzurufen, die ins Telefon brüllten, als handle es sich um ein Gerät aus der Zukunft. Und außerdem hatte sie ihn fast davon überzeugt, dass diese lauten Ausrufe ihrer Eltern Zigeunerflüche seien.
    Mehr als die meisten Teenager hasste Kizzy es, in der Öffentlichkeit mit Mitgliedern ihrer Familie gesehen zu werden, und sie bevorzugte es, selbst bei Hagel oder den seltenen Schneeschauern zu Fuß zur Schule zu gehen. Ein wenig frieren zog sie ihren Onkeln vor, die sich ständig am Bauch kratzten und in Rostlauben

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