Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht
dieser gewaltige Schatz, der Iwan IV. überzeugte, sich nach Sibirien zu wenden. Zudem fürchtete der Zar wohl, durch vordringende Krimtataren im Süden in einen Zweifrontenkrieg gezogen zu werden. Er setzte 300 Schützen in Marsch, schwer bepackt mit Vorräten und Munition. Für Jermak ließ er als Ehrengeschenk einen prunkvollen Harnisch einpacken – eine verhängnisvolle Gabe, wie sich herausstellen sollte.
Es dauerte fast ein Jahr, bis die Truppe in Sibir ankam, dezimiert vom Frost und den Pfeilen der Gegner. Sie fand einen demoralisierten Haufen vor. Jermak hatte es eine Weile verstanden, Rivalitäten unter den Stämmen im Khanat auszunutzen, um den Druck Kütschüms zu mindern. Doch war seine Truppe arg zusammengeschmolzen. Die Expedition stand trotz der Verstärkung aus Moskau vor dem Scheitern. Bald fiel Kolzo, der Kurier, in einem Scharmützel. Dann lockte eine überlegene Tatarenhorde Jermak in einen Hinterhalt. Auf der Flucht stürzte er in einen Fluss, als er versuchte, einen Kahn zu erreichen. Doch er schaffte es nicht und ertrank. Angeblich zog ihn der Panzer aus der Rüstkammer Iwans in die Tiefe.
Nach dem Tod ihres Atamans flüchteten die letzten überlebenden Kosaken aus Sibir. Niemand weiß, wie viele von ihnen es schafften, den Ural nach Westen zu queren. Allein militärisch – das hatte Jermaks Ostlandzug gezeigt – war Sibirien nicht zu bezwingen. Expeditionsheeren ging in der menschenfeindlichen Weite der Nachschub aus. Erst als sich im Schutz der wenigen russischen Stützpunkte auch Bauern, Händler und Handwerker ansiedelten, konnte der Zar seine Macht jenseits des Ural festigen.
Die Auferstehung
Weil 1598 die erste Zarendynastie ausstarb,
verstrickten sich Adel und Volk in abenteuerliche
Machtkämpfe. Die »Smuta« – Zeit der Wirren –
wurde zu einem nationalen Trauma.
Von Eva-Maria Schnurr
A ls sie Dmitrij Iwanowitsch im Mai 1591 zu Grabe trugen, konnte keiner ahnen, dass er noch zweimal auf der politischen Bühne erscheinen würde. Dass er Russland in ein 15 Jahre währendes Chaos aus Intrigen, Mord und Verrat stürzen würde. Und dass Bürgerkriege in seinem Namen das Land fast zerreißen sollten. Denn Dmitrij Iwanowitsch, jüngster Sohn Iwans IV. , war fraglos tot. Das war das Problem. Dmitrij war mit neun Jahren unter ungeklärten Umständen gestorben. Deshalb fehlte sieben Jahre später ein Zar, den alle Russen als Herrscher akzeptieren konnten.
Das Land war kopflos – buchstäblich. Adelige zankten sich um Einfluss und Macht. Bauern wehrten sich gegen die Leibeigenschaft. Nachbarstaaten witterten ihre Chance, sich Russland einzuverleiben. In dem Durcheinander wurde der Zarensohn Dmitrij zu einem Symbol für gute Herrschaft – vielleicht die einzige Hoffnung, die das Land während der bis dahin dramatischsten Phase seiner Geschichte noch zusammenhielt. Russland explodierte nicht, die Unordnung schlich sich ein. Sie kroch heran, als Zar Fjodor, auch er ein Sohn Iwans IV. , im Januar 1598 kinderlos starb – womit die Dynastie der Rurikiden endete. Sein Halbbruder Dmitrij hätte den Thron geerbt, wäre der nicht schon 1591 ums Leben gekommen.
Als neuer Herrscher bot sich Boris Godunow an, der Schwager des verstorbenen Zaren, der jahrelang für Fjodor die Regierungsgeschäfte geführt hatte. Bei Hofe munkelte man zwar, dass Godunow den kleinen Dmitrij hatte umbringen lassen, um selbst an die Macht zu kommen. Die offizielle Untersuchung des Falls jedoch brachte Entlastung; wahrscheinlich war der Junge durch einen Unfall gestorben. Eine Reichsversammlung wählte Godunow Ende Februar zum Herrscher, im September wurde er in der Marienkirche gekrönt. Alles hatte wieder seine Ordnung, scheinbar. Doch nicht ganz Russland stimmte ein in den Jubel über den neuen Zaren. »Den großen Herren wären darüber die feisten moskowitischen Wangen fast geplatzt«, berichtete der deutsche Offizier Conrad Bussow, einer der wenigen westlichen Beobachter in Moskau.
Denn Boris war nur ein Adeliger, ein Bojar, gehörte nicht einmal einer der alten Hochadelsfamilien an. Nichts zeichnete ihn vor den anderen Bojaren aus. Wie konnte so einer Gottes Stellvertreter auf Erden sein, Zar von Russland? Boris tat viel, den Makel zu kaschieren: Er ließ Papiere fälschen, so dass es aussah, als habe Zar Fjodor ihn zu seinem Nachfolger bestimmt, und er ließ die Entscheidung der Wahlversammlung als Stimme Gottes interpretieren. Den eifersüchtigen Bojaren aber konnte er nichts vormachen. Besonders übel
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