Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht
polnischen Königs Sigismund als neuen Zaren vor: Wladyslaw stammte aus einer Königsdynastie, stand über dem Parteizwist im russischen Adel, er schien ein geeigneter Kandidat. König Sigismund jedoch meldete selbst Ansprüche auf den russischen Thron an, wollte Polen und Russland vereinen. Als auch noch der zweite falsche Dmitrij im Dezember 1610 von eigenen Anhängern getötet wurde, brach vollends die Anarchie über Russland herein: Schwedische Verbände kämpften im Südwesten, Hauptstadt und Kreml waren von katholischen polnischen Truppen besetzt – tiefste Schmach für viele Russen. Und zwölf falsche Dmitrijs beanspruchten im Sommer 1611 die Macht für sich.
Russland war nicht explodiert, es war in sich zusammengefallen. Diejenigen, auf deren Schultern das Land eigentlich ruhen sollte, Adelige und Eliten, Stadtobere und Dienstleute, bekriegten einander. Die eigenen Interessen waren ihnen näher als jene des Landes. Mehr als zweieinhalb Jahre blieb Russland ohne Regierung. Dann erst konnten sich die verschiedenen Parteiungen und sozialen Gruppen auf eine gemeinsame Linie einigen.
Der Metzgermeister Kusma Minin und der Fürst Dmitrij Poscharski brachten in Nischni Nowgorod Adelige und Heerführer zusammen, organisierten Truppen und schafften es sogar, eine Sonderabgabe für deren Unterstützung einzusammeln. Vor dem Ansturm des russischen Aufgebots kapitulierte die polnische Besatzung am 4. November 1612. Moskau war frei. Wenn es nun gelang, einen Zaren zu küren, den alle Russen anerkennen konnten, hatte das Land eine neue Chance. Lange verhandelten die Delegierten der Reichsversammlung. Im Frühjahr 1613 fiel die Wahl auf Michail Romanow. Er kam aus einer der alten Hochadelsfamilien, schien unabhängig, aber gleichzeitig so schwach, dass er die Privilegien der Bojaren nicht antasten würde.
Gerade 16-jährig stand er vor der Aufgabe, das zerrüttete Reich wieder aufzubauen. Und gegen alle Wahrscheinlichkeit war er erfolgreich: Zar Michail stabilisierte die Herrschaft gemeinsam mit seinem Vater, dem Patriarchen Filaret, der lange faktisch für ihn regierte. In nur vier Generationen konnten seine Nachfahren das Land zur europäischen Großmacht ausbauen.
Der Zarensohn Dmitrij war tot, endgültig, Russland war wieder auferstanden. Doch die Furcht vor dem Chaos hatte sich während der »Smuta«, der Zeit der Wirren, tief in das russische Nationalgefühl eingebrannt. 1818, als Russland längst eine der führenden Nationen Europas war, errichtete man auf dem Roten Platz in Moskau ein Denkmal für Kusma Minin und Fürst Poscharski, denen es gelungen war, das Land wieder zu einen. »Vom dankerfüllten Russland« lautet die Sockelinschrift. Bis heute reckt eine der steinernen Figuren die rechte Hand ebenso triumphierend wie mahnend gen Himmel. Es sieht aus, als beschwöre sie den Geist des falschen Dmitrij, nur ja in seinem Grab zu bleiben.
Bräutigam hinter Gittern
Wie Graf Waldemar zu Schleswig-Holstein, Sohn des dänischen Königs, Gefangener des Zaren wurde
Von Annette Bruhns
Das Vorhaben war von langer Hand geplant. Im November 1640 schickte Zar Michail einen Mittelsmann nach Dänemark, um alles über einen jungen Mann herauszufinden: Alter, Größe, Gesundheit, Bildung. Es ging um die Frage, ob ein Sohn des dänischen Königs der richtige Bräutigam für Zarentochter Irina sein könnte. Die Antwort klang vielversprechend: 20 Jahre alt sei Graf Waldemar zu Schleswig-Holstein, schlank, rothaarig und gesund. Er sei gescheit, beherrsche Italienisch und die Waffenkunst. König Christian IV. von Dänemark bemerkte das Interesse der Russen. Schon bald führte Waldemar eine Handelsdelegation ins ferne Moskau. Bei Hofe musste der Königssohn zu seinem Verdruss das Schwert ablegen. Die Forderungen, die er vortrug, wurden fast alle abgeschlagen: keine Zollfreiheit für Dänen, keine eigenen Kirchen für die örtliche dänische Gemeinde, kein Getreidekauf.
Mit leeren Händen kehrte der Prinz heim. Als im Frühjahr 1642 zwei russische Gesandte die Hand der Zarentochter in Kopenhagen darboten, ließ Christian IV. sie abblitzen: Niemals würde sein Sohn, wie von den Moskauern verlangt, zum orthodoxen Glauben konvertieren. Eine Heirat sei unmöglich. Im Dezember traf Peter Marselis, dänischer Kaufmann in Diensten des Zaren, in Kopenhagen ein. Er überbrachte interessante Versprechen: Religionsfreiheit für den Bräutigam, dazu als Startkapital in der neuen Heimat zwei russische Städte plus 300000 Rubel. König
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