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Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Titel: Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klußmann
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verwüstet eine tobende Soldateska die Residenz der Zaren. Die Strelizen töten etliche Verwandte und Freunde Peters, darunter zwei seiner Onkel. Sie werden über Balustraden und Balkonbrüstungen in darunter aufgerichtete Lanzen und Hellebarden gestürzt, in Stücke gehackt und unter spöttischem Geschrei nahe der Basilius-Kathedrale zur Schau gestellt. Nun setzen die Strelizen durch, dass zusammen mit dem zehnjährigen Peter, der kurz zuvor zum Zaren gewählt und vom Patriarchen bestätigt worden war, auch sein sechs Jahre älterer, geistig behinderter Halbbruder Iwan gekrönt wird. Für die beiden Unmündigen übernimmt Iwans energische und fähige Schwester Sofija, 24 Jahre alt, die Regentschaft, die sie sieben Jahre lang ausüben wird.

    Porträt von Peter I ., der Russland als Peter der Große
    von 1682 bis 1725 regierte (Gemälde von 1717)
    GETTY IMAGES
    »Niemals«, schreibt der Historiker Erich Donnert in seiner Biografie »Peter der Große« (1987), habe Zar Peter »die grauenvollen Szenen vergessen, die sich vor seinen Augen abspielten, als Angehörige seiner Familie von Strelizen zu Tode gespießt wurden«. Der Strelizen-Alptraum sucht Peter sieben Jahre später abermals heim. Mit nun fast schon 18 Jahren steht er kurz vor der Volljährigkeit, doch seine Halbschwester Sofija will die Macht nicht abgeben. Weil er sich dagegen sträubt, schürt sie neue Unruhen. In einer August-Nacht des Jahres 1689 melden zwei Kremlwächter dem jungen Zaren, der sich mit seiner Mutter in einem Dorf bei Moskau aufhält, Soldaten aus der Hauptstadt seien im Anmarsch und wollten ihn töten. Peter flieht in panischer Angst, springt barfuß, im Nachtgewand, auf ein Pferd und galoppiert in den nächsten Wald. Diener bringen ihm Kleidungsstücke. Dann reitet er nach Norden in das befestigte Sergius-Dreifaltigkeitskloster. Ihm wird klar: Eine Entscheidung ist fällig, Sofija muss dem jungen Zaren weichen oder ihn entmachten.
    Der oberste Kirchenpatriarch ergreift Peters Partei, die ausländischen Offiziere, die russische Söldnertruppen in Moskau befehligen, fügen sich den Anordnungen aus dem Kloster. Die Regentin Sofija muss den Kreml verlassen und ins Neue Jungfrauenkloster im Moskauer Südwesten ziehen. Drei Scharfmacher der Strelizen werden gefoltert und geköpft. Peters Position festigt sich, auch wenn seine Auseinandersetzung mit den widerspenstigen Strelizen damit noch nicht beendet ist. Vorerst plagen ihn andere Sorgen: Schon als 16-Jähriger hat er in einem Dorfschuppen ein halbverrottetes englisches Segelboot entdeckt, das er von einem holländischen Zimmermann herrichten ließ. Später nennt er diesen kleinen Kahn liebevoll das »Großväterchen der russischen Flotte« – eben diese Armada aufzubauen ist der größte Ehrgeiz des volljährigen Zaren. Das Problem dabei: Russland besitzt nur in Archangelsk, das im hohen Norden gelegen ist, einen eigenen Zugang zum Meer, doch der ist den langen Winter über zugefroren.
    Ohne einen eisfreien Zugang zur Ostsee oder zum Schwarzen Meer kann Russland weder als Handelsmacht noch militärisch reüssieren. Der sprichwörtlich gewordene »Drang zum Meer« bestimmt Peters Strategie. Sie mündet in zwei Kriege: gegen die Krimtataren und Türken im Süden und danach gegen die Schweden im Nordwesten, welche die baltische Ostseeküste beherrschen. Nach einem ersten, gescheiterten Versuch, die Türkenfestung Asow auf dem Landweg zu erobern, beweist er eindrucksvoll seinen für Russlands Aufstieg entscheidenden Charakterzug: ungeheure Willenskraft, zähe Zielstrebigkeit gerade auch nach Rückschlägen. An einem Nebenfluss des Don erweitert Peter lokale Bootsbauwerkstätten zu einer großen regelrechten Werft, wo er in wenigen Monaten 30 Galeeren und Hunderte von kleineren Barken auf Kiel legen lässt. Arbeitskräfte lässt er zwangsweise rekrutieren.
    Bald ist es so weit: Peter kann die Versorgung Asows über die See blockieren. Vier Wochen nach der zweiten Belagerung kapituliert die Festung. Ein lange verstopftes Nadelöhr zum Schwarzen Meer ist geöffnet. Auf einen Schlag ist Peter eine europäische Berühmtheit. Doch der Zar lässt sich vom frischen Ruhm nicht blenden. Er weiß sehr wohl, dass er ohne ausländische Schiffsbauer, Navigatoren und Artilleristen die Türken nicht besiegt hätte. So beschließt er am Jahresende 1696, eine »Große Gesandtschaft« der Lernbegierigen nach Westeuropa zu schicken und selbst daran teilzunehmen.
    Diese Gesandtschaft ist jedoch ein provozierender

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