Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht
Verstoß gegen eine jahrhundertealte Tradition. Der oberste Herrscher Russlands, der Beschützer der Kirche verlässt niemals zu Friedenszeiten die russische Erde, schon gar nicht monatelang und inkognito. Peters Bruch mit der Tradition ermutigt seine Gegner, eine Verschwörung anzuzetteln. Wieder sind Strelizen beteiligt; die Parole lautet: Wer das heilige Russland an das Ausland verrät, der soll sterben. Doch die Putschisten fliegen auf. Peter rächt sich furchtbar. Unter der Folter gestehen die Verschwörer, mit der entmachteten Sofija konspiriert zu haben. Ihnen werden reihenweise die Gliedmaßen und die Köpfe abgehackt.
Sechs Tage nach diesem barbarischen Schlachtfest, im März 1697, bricht die »Große Gesandtschaft« gen Westen auf, eines der anrührendsten und komischsten Reiseabenteuer der Geschichte. Die Gesandtschaft, das sind mehr als 250 Leute, darunter einige Dutzend Adlige, Leibgardisten, drei Übersetzer, ein Stallmeister, vier Kämmerer, zwei Goldschmiede, sechs Trompeter, 70 besonders großgewachsene Soldaten, außerdem Ärzte, Geistliche, Köche, vier Zwerge, ein Affe. Die Reise der Kutschen, Reiter und Bagagewagen dauert 18 Monate. Sie führt über Riga und das Polen zugehörige Kurland – wo die trinkfreudigen Russen wirken wie »getaufte Bären« – nach Königsberg. Hier absolviert Peter einen Kurs in Artillerietechnik. Und er trifft den brandenburgischen Kurfürsten Friedrich III. , den späteren Preußenkönig Friedrich I.
In Königsberg bleibt der Zar fast zwei Monate, dann gelangt er über Berlin nach Coppenbrügge bei Hameln. Der genussfreudige Peter lernt bei einem vierstündigen Abendessen mit Musik und Tanz zwei Damen des westlichen Hochadels schätzen: die Kurfürstin Sophie von Hannover und ihre hübsche, gebildete Tochter Sophie Charlotte. Ihnen erscheint Peter trotz »bäurischer Manieren« als ein »außerordentlicher Mann«. Die nächsten Stationen der wunderlichen Russenreise sind Amsterdam und die nicht weit davon entfernte Werftstadt Zaandam. Schon am Tag nach der Ankunft lässt sich ein gewisser »Peter Michailow« bei einer privaten Werft, mit Werkzeug und in zünftiger Arbeitskleidung, als Zimmermann anstellen. Doch die Inkognito-Maskerade und der Deckname Michailow können nicht verhindern, dass schon bald die Leute neugierig nach Zaandam eilen, um diese seltsamen Russen zu bestaunen wie Zoo-Tiere. Der impulsive Zar ohrfeigt einen besonders zudringlichen Gaffer.
Ein Teil der Gesandtschaft setzt auf einem britischen Kriegsschiff über nach England, wo König William III. für den russischen Gast eine kleine Seeschlacht inszenieren lässt. Peter interessiert sich hier für eine Kanonengießerei, englische Särge, ein Hospital und das britische Münzwesen, das er zum Vorbild russischer Geldreformen wählt. Über Dresden und Prag reist die Zaren-Crew dann nach Wien. Hier erreicht ihn die Nachricht, vier Regimenter der Strelizen, die an der polnisch-litauischen Grenze stationiert werden sollten, marschierten meuternd auf Moskau zu. Der Herrscher bricht die Reise ab, er gelangt nach Krakau, wo er erfährt, General Patrick Gordon habe die Rebellion niedergeschlagen. Jetzt findet Peter noch Zeit für ein Treffen mit dem Sachsen August II. (»der Starke«) in der Nähe von Lemberg. Der sinnenfrohe Kurfürst ist zugleich neuer polnischer König. Peter versteht sich mit ihm blendend und gewinnt seine Unterstützung für den Versuch, die Schweden aus dem Baltikum zu jagen.
Der »Große Nordische Krieg« zwischen Russland samt seinen Alliierten und Schweden wirft seinen Schatten voraus. Aber vorher hat der rachsüchtige Zar daheim noch eine Rechnung zu begleichen. Und wie er sie begleicht: Am 27. September beginnt er auf dem Landsitz Preobraschenskoje Verhöre von Strelizen, wobei Folterungen mit der geknoteten Lederpeitsche, mit glühendem Holz oder Eisen und über offenem Feuer die Regel sind. Verhört und gemartert (Nase abschneiden, Zunge kürzen) wird Tag und Nacht, und das mehrere Monate lang. In dem kleinen Ort brennen ständig rund 30 Scheiterhaufen. Bis Februar 1699 werden 1182 Strelizen aufgehängt oder geköpft, etliche auch auf dem Roten Platz und an den Stadttoren Moskaus. Zum Neuen Jungfrauenkloster, in dem Sofija interniert ist, werden 230 Rebellen geschafft und im dortigen Klostergarten an mehreren Galgen aufgeknüpft. Peter legt selbst bei Folterungen mit Hand an. Fünf Strelizen sollen, erzählt man sich später, sogar von ihm selbst zur Eröffnung des
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