Die Hexe

achselzuckend. »Die Ermittler der Herrscherhäuser werden dich schon zum Sprechen bringen, verlass dich drauf. Sie werden kein langes Federlesen mit dir machen. Weder mit dir noch mit deinen Kindern noch mit deinem Enkel.«
    »Niemand wird sie anrühren.«
    »Da täuschen Sie sich gewaltig, Barbara«, entgegnete Cortes, der plötzlich wieder auf einen höflichen Ton umschwenkte und milde auf die alte Dame einsprach. »Sie haben doch sicher gehört, dass Santiago unter Verdacht steht. Steckt Kara dahinter?« Barbara Iljinitschna schwieg. »Natürlich steckt Kara dahinter. Und jetzt überlegen Sie mal, was passieren wird, wenn sie mit ihrer Intrige Erfolg hat und der Dunkle Hof nicht verhindern kann, dass der Kommissar zum Tod verurteilt wird.« Der Söldner sah die versteinerte Alte eindringlich an. »Glauben Sie etwa ernsthaft, der Dunkle Hof würde es dabei bewenden lassen? Da kennen Sie die Nawen aber schlecht. Santiago ist ihr Idol, eine lebende Legende. Sie würden nicht eher ruhen, bis die Hintergründe seines Todes vollständig aufgeklärt sind. Meinen Sie nicht auch?« Barbara Iljinitschna wusste, dass der Söldner Recht hatte. »Früher oder später würden sie herausfinden, wer der Schuldige ist, und dann dürfen Sie keine Gnade erwarten. Sie kennen die Gepflogenheiten des Dunklen Hofs: Die Nawen bringen jeden um, der auch nur im Entferntesten eine Mitschuld am Tod eines ihrer Volksgenossen trägt. Einschließlich seiner Familie. Bis zur siebten Generation. Besonders irgendwelche Humos.«
    Der Dunkle Hof war das mit Abstand bevölkerungsärmste Herrscherhaus der Verborgenen Stadt und nicht zuletzt deshalb wurde der gewaltsame Tod eines Nawen erbarmungslos gerächt.
    »Sie werden doch nicht Kinder …«
    »Doch, das werden sie.«
    Die Tür zum Arbeitszimmer öffnete sich.
    »Ist alles in Ordnung, Barbara?«, erkundigte sich der Hausherr besorgt. »Die lauten Stimmen haben Nikita erschreckt.«
    »Alles in Ordnung«, erwiderte Barbara Iljinitschna und lächelte gequält. »Nur ein Streit über Sachfragen. Wir sind bald fertig.«
    Die Tür schloss sich wieder.
    »Wie stark ist Kara als Magierin wirklich?«, fragte Cortes. »Meiner Einschätzung nach verfügt sie über außergewöhnliche Fähigkeiten, aber ich hätte gern die Meinung eines Experten gehört.«
    »Sie ist mindestens so stark wie eine Fate des Grünen Hofs«, flüsterte die alte Frau fast unhörbar.
    »Bitte? Sprechen Sie lauter.«
    Barbara Iljinitschna seufzte und rückte endlich mit der Wahrheit heraus: »Ihre magischen Fähigkeiten sind höher einzuschätzen als die einer Priesterin des Grünen Hofs.«
    Diese Einschätzung stellte Kara auf eine Stufe mit den mächtigsten Magiern der Verborgenen Stadt. Cortes trommelte mit den Fingern auf dem Schreibtisch.
    »Woher hat sie das?«
    »Ich weiß es nicht. Als wir uns kennenlernten, war Kara bereits eine komplette Zauberin. Sie ist älter als ich. Viel älter sogar, doch sie setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um ihre Jugend zu erhalten.«
    »Sie ist also erst vor dreißig Jahren in der Verborgenen Stadt aufgetaucht?«
    »Nein. Sie verbirgt ihre wahren Fähigkeiten vor den Herrscherhäusern und hat ihren eigenen Tod vorgetäuscht. Sie musste sich deshalb neu registrieren lassen, die Ausbildung noch einmal absolvieren, eine Lizenz beantragen und so weiter.«
    »Und dabei haben Sie ihr geholfen?«
    »Ja.«
    »Wo wohnt sie?«
    »Das weiß ich nicht.« Die alte Dame registrierte des Söldners skeptischen Blick. »Ich weiß es wirklich nicht. Sie vertraut nur sehr wenigen Leuten.«
    »Eine kluge Frau.« Cortes fuhr sich zerstreut durchs Haar. »Was wissen Sie noch über Kara? Mich interessiert jedes noch so unbedeutende Detail.«
    »Wir haben nicht viel Kontakt.« Barbara Iljinitschna zuckte mit den Schultern. »In letzter Zeit haben wir nur telefoniert.«
    »Nun rücken Sie schon heraus damit …«
    »Sie scheint ein Problem mit den Humanoiden zu haben, vielleicht alte Wunden aus der Vergangenheit.«
    »Hat sie nie darüber gesprochen?«
    »Nein. Aber den Hass, den sie für Angehörige nichtmenschlicher Völker empfindet, kann man beinahe physisch spüren.«
    »Das ist interessant. Was wissen Sie noch?«
    »Sie hat mit Professor Wawilow zusammengearbeitet. «
    »Mit dem berühmten Genetiker?«
    »Ja.«
    »Aber wozu? In der Verborgenen Stadt wird doch schon seit Jahrhunderten mit den Genen experimentiert. «
    »Wawilow war außergewöhnlich begabt. Vielleicht hat sie sich neue Anregungen von ihm