Die Hexe
zu gewinnen, und dann würde sie weitersehen.
Sie zog das Seidenhemd wieder über und bequemte sich langsam zum Telefon, das schon seit geraumer Zeit klingelte.
»Hallo?«
»Herrin? Ich bin’s, Mohammed.«
»Du rufst doch hoffentlich nicht aus dem Polizeirevier an?«, flachste Kara launig. Die Erinnerung an ihr letztes Rendezvous mit dem Schwarzen versetzte sie in eine schalkhafte Stimmung. »Oder muss ich dich gegen Kaution rausholen?«
»Natürlich nicht«, erwiderte Mohammed grinsend.
»Alles klar bei dir?«
»Alles klar«, bestätigte der Diener. »Einen ausführlichen Bericht über unsere Aktion kannst du dir in den Nachrichten ansehen.«
»Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann, Mohammed«, lobte die Zauberin und spürte, wie der Schwarze vor Stolz förmlich platzte. »Kommt zurück in die Villa.«
»Sehr wohl, Herrin.«
Kara legte den Hörer auf, ging am Tisch entlang und griff nach dem massiven goldenen Armreif, der einst der Fate Mara gehört hatte.
Der von den Magiern inszenierte Banküberfall war lediglich ein erster Schritt. Die aus dem Portal springenden, notdürftig als Rothauben verkleideten Gestalten sollten nur die Aufmerksamkeit der Moskauer Bürger erregen und den Boden bereiten für wesentlich spektakulärere Ereignisse, mit denen Kara die Metropole zu erschüttern gedachte.
Mit größter Sorgfalt versteckte die Verborgene Stadt ihre Existenz vor den Blicken der Menschen. Dies gelang nicht zuletzt deshalb, weil niemand nach ihr suchte. Kara fand es an der Zeit, diese Spielregeln zu ändern.
Die Zauberin streifte den Armreif übers Handgelenk und begeisterte sich an der Schönheit des kostbaren Schmuckstücks. Er war das Werk eines genialen Juweliers, der die Smaragde so meisterhaft platziert hatte, dass sie mit den geschwungenen Linien des Edelmetalls ein harmonisches Ganzes bildeten.
Der Armreif war ein Kunstwerk, gewiss, doch sein eigentlicher Wert lag in etwas anderem, nämlich in der absoluten Macht, die er über die Schwarzen Morjanen, die gefürchteten, von der Fate Mara geschaffenen Wandelwesen verlieh.
Die Zauberin aktivierte den Armreif und rieb mit dem Finger über die Edelsteine.
»Dita, kannst du mich hören?«
Bei den Schwarzen Morjanen gab es keinen Namen doppelt, deshalb wusste die Angesprochene sofort, dass sie gemeint war.
»Ja, Kara.«
»Wo bist du gerade?«
»Dort, wo du mich hinbeordert hast.«
»Sehr gut. Wie spät ist es?«
»Ungefähr zehn vor.«
Kara setzte sich auf einen Stuhl, flüsterte eine Zauberformel und rieb abermals über die Smaragde. Ihr wurde schwarz vor Augen und stechender Schmerz pulsierte in ihrem Kopf. Doch schon wenige Sekunden später ließ der Druck nach und vor Karas Augen erschien dieselbe Szenerie, die Dita in diesem Augenblick sah.
Nachtclub Schaukel
Moskau, Twerskaja-Straße
Freitag, 29. September, 02:11 Uhr
Der künstlerische Leiter des Nachtclubs Schaukel verzichtete darauf, das Publikum mit anspruchsvollen Darbietungen zu verwöhnen. Damit hätte er auch Perlen vor die Säue geworfen. Die Gäste des Etablissements waren zum Großteil gestandene Banditen, in deren ausrasierten Stiernacken schwere Goldketten funkelten, oder gescheiterte Sportler, die noch am Beginn ihrer kriminellen Karriere standen. Das Unterhaltungsprogramm des Nachtclubs gestaltete sich entsprechend: nonstop Striptease, aufgelockert durch Auftritte der bekanntesten Interpreten kneipentauglicher Gangsterlyrik.
Dem Publikum gefiel es so.
»Wir sitzen im Zentralzuchthaus
im fernen Jaroslawl,
das Leben dort ist elendig,
die Wächter machen Trouble«,
intonierte Grischa Kwadratowski auf der Bühne und die betrunkene Menge stimmte beschwingt ein:
»Es lebe das Zentralzuchthaus
im fernen Jaroslawl …«
»Wie heißt deine Nummer gleich wieder?«, erkundigte sich die vollbusige Blondine, während sie ihre Nylonstrümpfe zurechtzog. »Ich hab’s schon wieder vergessen. «
Die kleine Schwarzhaarige, der die Frage galt, reagierte nicht. Sie saß auf einem Schemel vor dem Spiegel und schminkte sich ungerührt die Lippen.
»Hey du, Neue, ich rede mit dir!«
Wie hieß sie gleich wieder?
Die Schwarzhaarige legte den Lippenstift beiseite und wandte sich langsam um. Der winzige Schminkraum der Schaukel bot kaum zwei Frauen Platz. Deshalb zogen sich die Stripperinnen erst kurz vor dem Auftritt um und verbrachten die Zeit davor in einer trostlosen Kammer zwischen Küche und Kühlraum.
»Hast du was gesagt?«
Die herben Gesichtszüge der
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